Dominik Paetzholdt
Ein Jahr Künstlerische Leitung der DISTEL
Herr Paetzoldt,
ein Jahr Distel – welche Zwischenbilanz ziehen Sie? Gab es Unerwartetes?
Im vergangenen Jahr habe ich mich gut eingearbeitet und die Spielzeit 2015/2016 vorbereitet, die wir sehr erfolgreich mit der Premiere von "Einmal Deutschland für alle!" starten konnten. Ich freue mich sehr, zu beobachten, dass die Menschen große Lust auf politische Satire haben.
Kabarett ist ein sehr spannendes Genre mit noch sehr unausgeschöpftem Gestaltungsspielraum, in dem es noch sehr viel zu entdecken gibt.
Unerwartet war an vielen Stellen die politische Entwicklung oder politische Ereignisse,
die uns natürlich immer wieder zwingen, Programme täglich zu überarbeiten, um immer wieder neu tagesaktuell zu sein. Was aber auch einen ganz großen Reiz von Kabarett ausmacht.
Ein neues Kabarettprogramm ist immer eine Uraufführung - alles ist neu - von der Idee, über den Titel & das Textbuch bis hin zur Inszenierung. Was ist das Schwierigste, was das Schönste daran?
Die größte Herausforderung besteht darin, dass Kabarett tendenziell kurzfristig entstehen muss, um auch die relevanten Themen auf der Bühne zu verhandeln, die die Menschen im Moment des Theaterbesuchs bewegen und weswegen sie auch zu uns kommen, wir aber zugleich – in Berücksichtigung auf Tourneekalender und Vorverkäufe – gezwungen sind, länger im Voraus zu planen.
Das Schönste im Produktionsprozess ist das Entwickeln der Ideen und Programme mit den Autoren und unseren Kabarett-Schauspielern, und die enge Arbeit mit dem gesamten Künstlerteam. Ein sehr inspirierender, spannender und freudvoller Vorgang.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Publikum? Inwieweit beeinflussen diese Ihre Arbeit?
Ich gehe gern in die Vorstellungen und versuche herauszufinden, welche Themen dem Publikum besonders wichtig sind, welche Themen und welche Art von Humor und Satire gut ankommt. Daraus schöpfen wir neue Ideen. Das Publikum wird aber immer auch etwas unberechenbar bleiben. Eigentlich ein ziemlich spannender unbekannter Faktor; mal sind wir fest von der Wirkung einer Nummer überzeugt und das Publikum reagiert nicht so stark; dann wieder gibt es Sequenzen, denen wir nicht so viel Bedeutung beimessen und das Publikum ist begeistert. Ganz neu ist, dass wir nun schon zum zweiten Mal unter den Zuschauern Umfragen zum Titel für unsere neuen Programme veranstaltet haben. Wir bitten dann, unter 3-5 Titeln auszuwählen. Dann ergibt die Wahl der Zuschauer gemeinsam mit denen des DISTEL-Teams, der Autoren und Schauspieler ein interessantes wichtiges Stimmungsbild, um den richtigen Titel zu wählen.
Was sind die nächsten Vorhaben?
Da sind vor allem die nächsten drei Premieren zu nennen, die wir, die Grundhandlung betreffend, in die eingebettet die kabarettistischen Inhalte verhandelt werden, sehr unterschiedlich entwickeln: "Wohin mit Mutti?" (Premiere 13. Mai) ist eine Kabarett-Komödie, "Wer früher zockt ist länger reich" (Premiere 22. Juli) wird ein kabarettistisches Roadmovie und unser neues Sechser-Programm im Oktober wird mit unserer dreiköpfigen Band ein sehr musikalisches Programm.
Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus, wenn es den überhaupt gibt?
Den typischen Arbeitstag gibt es nicht. Natürlich verlangt die künstlerische Leitungsarbeit zahlreiche Tage im Büro. Ich telefoniere, schreibe E-Mails, treffe Absprachen mit der Geschäftsleitung und mit der Kollegin vom Künstlerischen Betriebsbüro z.B. zum Spielplan, mit den Technikern zu Einsatzabläufen oder wir diskutieren Plakatideen mit den Marketingleuten.
Die meiste Zeit verbringe ich mit dem Kontakt mit unseren Autoren, um die neuen Programme zu planen oder die aktuellen auch aktuell zu halten.
Wenn ich Regie führe, bin ich tagsüber viele Stunden lang im Theatersaal und erledige meine Leitungsaufgaben dann erst abends nach den Proben.
Häufig bin ich auch unterwegs und besuche deutschlandweit Kabaretts, ich treffe mich mit Autoren, Kabarettisten und Regisseuren - knüpfe und pflege sozusagen ein Netzwerk an Kontakten in der Kabarettszene.
Wie plant man die künstlerische Ausrichtung eines Kabaretts?
Überall ergeben sich Inspirationen - aus den vielen Gesprächen mit Autoren, Regisseuren, aus der unmittelbaren Regiearbeit, aus den Überlegungen gemeinsam mit unserem sehr erfahren Ensemble, dessen Meinung mir sehr wichtig ist, auch aus kabarettistischen Fernsehformaten und selbstverständlich aus den Reaktionen des Publikums.
Und natürlich spielt das eigene Bauchgefühl eine wichtige Rolle. Ich frage mich immer, was mir selbst gefällt. Ob als Leiter oder Regisseur - ich kann nur etwas glaubhaft umsetzen, was ich auch selber sehen würde wollen, was mir selbst als modernes, zeitgemäßes, politisches und unterhaltsames Kabarett gefällt. Denn man kann nur etwas mit ganzem Herzen auf die Bühne bringen, hinter dem man auch 100 Prozent steht, ganz besonders im Kabarett.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich muss gestehen, dass ich mich privat oft eher für den Kino- als für den Theaterbesuch entscheide. Dann bin ich ein sehr engagierter Fußballer, leider eher auf der Couch als noch selbst auf dem Platz.
Und ich genieße es gerade sehr nach vielen Jahren des beruflichen Umherziehens, viel in Berlin zu sein, hier zu leben, und die Stadt mit seinen spannenden Menschen, seiner vielfältigen Kultur- und Kunstszene, den vielen tollen Restaurants und Ausgehmöglichkeiten auszukosten.
© Micheal Herrmann