Im Gespräch: Michael Frowin

Der Kabarettist, Autor, Schauspieler und Regisseur Michael Frowin ist nicht nur Ideengeber für das neue DISTEL-Programm "Wahres ist Rares", er hat ebenso das Textbuch geschrieben (unter Mitarbeit von Katinka Buddenkotte) und führt Regie. Als Autor und Regisseur ("Wenn Deutsche über Grenzen gehen" 2017) ist er der DISTEL schon lange verbunden – umso mehr freuen wir uns nun auf das erste komplette DISTEL-Programm, das durch und durch seine Handschrift tragen wird.

Bevor wir das Ergebnis der wochen- und monatelangen Arbeit erleben dürfen, mussten wir ihm aber noch ein paar Fragen stellen...

Es war Deine Idee, ein Kabarett-Programm zu "Gefühltem Wissen" zu machen. Was verstehst du darunter? Mit welchen gesellschaftlichen Tendenzen willst du Dich beschäftigen? Und wie ist es überhaupt zu diesem Thema gekommen?

Michael: Die Idee entstand im Austausch mit Dominik Paetzholdt, dem Künstlerischen Leiter der DISTEL. Mich beschäftigt und fasziniert schon länger die Gehirnforschung – auch im "Grenzen"-Proramm gab es bereits eine Passage über "Schnelles Denken".

Für dieses Programm habe ich die Beschäftigung intensiviert, ich finde es nämlich in vielerlei Hinsicht spannend zu erfahren, welchen Einflüssen unser Denken ausgesetzt ist, wie unser Gehirn funktioniert und welche Mechanismen auf es einwirken – also z.B. unsere Emotionen, besonders unsere Ängste, die Macht der Gewohnheit, antrainierte Verhaltensweisen.

Dahinter steckt immer die Frage: Wie frei, wie selbstbestimmt sind wir eigentlich? Wie ist es überhaupt möglich, etwas zu unterscheiden, einzuordnen, zu bewerten? Ich kann nur für mich sagen: Die Beschäftigung mit diesen Themen führt zu mehr Gelassenheit.

Wie lässt sich dieses Thema im Kabarett behandeln?

Michael: Ich frage mich bei jedem Kabarett-Programm neu, wie erzählt man satirisch die Gegenwart? Und wie erzählt man es bei einem so umfassenden Thema wie "Gefühltem Wissen"? Wir haben uns dafür entschieden, es über die Geschichten von verschiedenen Figuren zu erzählen, die durch eine bevorstehende Party zusammenkommen. Damit ordentlich Druck auf dem Kabarett-Kessel ist, verkündet mit Beginn des Stücks eine der Figuren eine wichtige Entscheidung, die alle Figuren in Bewegung setzt. Die Bombe platzt und das komödiantische Chaos nimmt seinen Lauf.

Ich persönlich bin immer wieder auf der Suche danach, wie man das Genre Kabarett theatralisch erweitern kann. Ich finde, es kann mehr als sich auf Stand Up oder Nummern zu beschränken – auch wenn das natürlich seinen Reiz hat, vor allem, wenn es virtuos ist. Bei einer eher geschlossenen Geschichte sind die Figuren schon durch die Handlung in Bewegung, sie sind schneller dran an ihren Gefühlen, man kann mit einer zweiten Erzählebene arbeiten. Und es sind auch ehrliche Momente möglich – anders als (zumeist) in Nummernprogrammen. Das war uns bei diesem Thema wichtig.

Wir zielen also satirisch auf Hirn und Herz. Im besten Fall kommt dabei raus: Kabarett, das unter die Haut geht.

Das Programm heißt "Wahres ist Rares" – wie ist der Titel entstanden?

Michael: Das war eine echte Gemeinschaftsproduktion. Eine Titelfindung ist komplex – da denken viele mit, und am Ende kam dieser – wie ich finde – sehr knackige Titel raus.

Das "Wahre" erhält im aktuellen politischen Weltgeschehen noch einmal besondere Brisanz – wir alle haben das Sprichwort "Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst" im Hinterkopf. Inwieweit wird der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Programm angesprochen? Lassen sich solche einschneidenden Ereignisse (bspw. auch Terroranschläge) überhaupt auf der Kabarett-Bühne thematisieren?

Michael: Natürlich war "Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst" auch eine meiner ersten Assoziationen. Wir haben uns ja entschlossen, die Premiere zu verschieben und in einem großen Kraftakt das Programm auf die aktuelle Situation anzupassen. Thematisch sind wir mit den Fragen, die das Programm aufwirft, sowieso schon nah dran.

Mir fällt es aber ganz und gar nicht leicht, mich zu diesem unfassbaren Ereignis satirisch zu positionieren. Klar, wir alle sind für den Frieden, wir alle wollen, dass der Krieg endet. Aber angesichts der Wucht, mit der sich plötzlich die Lage in Europa verändert, angesichts der lautstark beschworenen "Zeitenwende", habe ich definitiv mehr Fragen als Antworten.

Und ich tue mich bei dem täglichen Leid, das (auch) dieser Krieg verursacht, schwer, ein Aufrechnen zu beginnen oder Positionen einfach über Bord zu werfen – nach dem Motto: Jetzt zählt nur noch Aufrüstung! Der Krieg in der Ukraine führt uns vor Augen, mit welch unterschiedlichen Augen wir auf die Ereignisse und Konflikte in der Welt schauen.

In welcher Zeitspanne ist das Textbuch entstanden, nachdem der Künstlerische Leiter Dominik Paetzholdt Deiner Programmidee zugestimmt hat? Wie lief die Zusammenarbeit mit den anderen Autoren?

Michael: Durch Corona sind viele Abläufe extrem durcheinandergeraten. Für dieses Textbuch hatten wir dann sehr wenig Zeit in der Entstehung. Autoren, die mitschreiben wollten, fielen aus, die gesamte Vorbereitungszeit ist zusammengeschrumpft. Ich bin der Autorin Katinka Buddenkotte, mit der ich zum ersten Mal gearbeitet habe, sehr dankbar, dass sie die Herkulesaufgabe übernommen hat, den ersten Entwurf mit allen Figuren mit zu entwickeln und zu schreiben.

Das war dann die Grundlage für die weitere Arbeit am Buch, die ich zusammen mit meinem Co-Autor Johannes Rehmann übernommen habe. Da gehen dann täglich die Szenen, Entwürfe, Einfälle hin und her, da wird telefoniert, verworfen, korrigiert und ergänzt. Ein ständiger Austausch. Und nach dem 24. Februar haben wir das gesamte Textbuch eben nochmal umgeschrieben, ganze Szenen und Songs verändert.

Du bist ebenfalls der Regisseur. Kommt es im Probenprozess noch zu Textänderungen in größerem Umfang?

Michael: Ein Kabarett-Programm der DISTEL ist immer eine Uraufführung, da ist es normal, dass sich während der Proben noch einiges ändert. In diesem Fall gab es Szenen, die uns beim Ausprobieren nicht stimmig schienen, sodass sie dann (zum Teil mehrfach) geändert wurden. Timo Doleys ist ja selbst Autor, er schaut also sehr genau hin – was großartig ist! Dazu arbeiten wir mit Elementen wie Puppenspiel und Projektionen. Da ergeben sich dann oft schon rein technisch neue Ideen, die den Text nochmal beeinflussen. Ich bin da total pragmatisch: Was auf der Bühne nicht funktioniert, wird geändert.

Auch dieses Programm wird Musik und Gesang bieten, wobei ja zuerst die Liedtexte entstehen. Welche Vorgaben bekommen die Musiker*innen, die dazu komponieren sollen? Wie kann man sich diesen Prozess vorstellen?

Michael: In diesem Fall hatten wir Autor*innen sehr konkrete Vorstellungen, wie die Songs inhaltlich aussehen sollten. Katinka hat sehr viel Material vorgegeben, damit sich die Songtexte gut ins Programm einpassen. Mit Axel Pätz bin ich auch immer im Austausch, bevor er anfängt zu schreiben – und dann wird, wie beim Textbuch, noch lange gefeilt.

Sowohl Axel als auch Tom van Hasselt und Michael Krebs sind Songwriter, das heißt sie komponieren auch. Das ist deshalb toll, weil man weiß, wie sie sich ihre Songs vorstellen. Wir durften aber auch neue Musik komponieren lassen, wenn uns das – im Sinne des gesamten Programms – sinnvoll erschien. Dass die Songwriter damit so gelassen umgehen, spricht für sie – und für ein großes Vertrauen in die Arbeit der DISTEL. Und ja, bei manchen Nummern haben wir auch mit musikalischen "Schimmeln" gearbeitet – also bestehende Songs als Schablone vorgeben.

Noch eine letzte Frage, da "Wahres ist Rares" eine eher geschlossene Handlung hat: Bedeutet das, es wird – im Gegensatz zum "klassischen" Nummernkabarett – weniger Gelegenheiten geben, um zwischendrin lachen und applaudieren zu können?

Michael: Ein glasklares Nein. Wieso auch? Man lacht und klatscht doch auch in einer Theater-Komödie oder in einem komischen Film.

Ich würde mir übrigens auch wünschen, dass man sich von der Bezeichnung "klassisches" Nummernkabarett verabschiedet, da es so unendlich viele Formen in diesem großartigen Genre gibt, die man genauso "klassisch" nennen könnte... Ich glaube, am Ende des Tages zählt sowieso nur eins:

Neugierig bleiben und Spaß haben.

Foto: © Bernd Brundert