15.10.2018

Das Ende der Volksparteien

Der Letzte kriegt die Tür nicht zu.
Folge 28

Populismusweltmeisterschaft aka #LtwBY18: 37 ist das neue 50, die CSU muss sich an Demokratie gewöhnen, und für die SPD gilt: Alles hat ein Ende, auch die Volkspartei.

Autor: TILMAN LUCKE


Ab sofort wird in keinem einzigen Bundesland mehr allein regiert. Die CSU bekam bei der Bayernwahl die Klatsche, an der sie schon immer einen hatte, und die SPD beschließt auf ihrem nächsten Parteitag die Umbenennung in „Sonstige Partei Deutschlands“. Noch liegt sie aber konstant vor den Weiteren, den Übrigen und den Anderen. Die Wahlsieger und Verlierer der Herzen im Schnellcheck.

Der bayerische Wähler, noch benebelt vom Oktoberfest, hat gerülpst: Die CSU ist nicht mehr alleiniger Souverän. Landtagsjuristen prüfen noch, ob ein solches Wahlergebnis im Einklang mit der Landesverfassung steht. Das Ende der Volksparteien ist nah.

Normalerweise wird in Bayern alle fünf Jahre im September gewählt. Diese Wahl war aber in den Oktober verschoben worden, weil Markus Söder sich erst im Frühjahr zum Horst machen konnte und einen Monat mehr Zeit brauchte, um zu beweisen, dass er es nicht kann. Dieser Move landet wohl in der Rubrik „Was ich beim nächsten Putsch anders mache“. Seit über siebzig Jahren regieren die tolldreisten Trachtentunten den Freistaat mit absoluter Frechheit, äh, Mehrheit und hat damit einiges mit VW gemeinsam, dem Konzern aus dem Film „Denn sie messen nicht, was sie tun“: Beide haben einen zu großen Marktanteil, beide tanken zu viel, und das Programm ist eine Schadsoftware.

Edmund Ä. Stoiber holte 2003 mit seinem (sinngemäßen) Slogan „Laptop und Leberzirrhose“ noch über 60 Prozent; Huber und Beckstein, die Lehman Brothers der CSU, wurden 2008 noch für 43 Prozent in die Wüste geschickt. Vielleicht sollte man sie zurückholen? War Söder mit der CSU, die er im Zuge der Kreuzpflicht in CisSU umbenannte, im März noch mit 44 Prozent in den Umfragen angetreten, landete er nun bei 37 Prozent. Gut, dass er die Wahl nicht auf Juni 2021 verschoben hatte, denn rein rechnerisch wäre die CSU dann unter der Fünfprozenthürde gelandet.

Das Maxi-Milianeum ist so groß wie noch nie: Sechs Parteien wurden in den Landtag gewählt. Kaiser Wilhelm (i. e. der BR-Intendant Ulrich Wilhelm) soll schon gesagt haben: „Ich kenne keine Bayern mehr, ich kenne nur noch Parteien.“ Lediglich die Linkspartei, die momentan mit „#aufstehen“ beschäftigt ist, kann sich im Landtag nicht hinsetzen. Aber wer ist alles dabei?

Die Grünen sitzen gestärkt und die FDP wieder im Parlament, werden aber wohl auf den harten Oppositionsbänken Platz behalten müssen. Regierungspartner der CSU werden voraussichtlich die Freie Wähler. Da es – wie Claus Kleber schräg, aber geradeaus analysierte – in Deutschland bis auf die Insassen von Haftanstalten hoffentlich keine Unfreien Wähler gibt, stellt sich die Frage: Was sind eigentlich „Freie Wähler“? Will die Partei damit sagen: „Seht her, wir sind keine Partei, wir sind Wähler, wir sind welche von euch?“ Populismus schon im Namen ist zwar ehrlich, aber dann natürlich auch wieder überhaupt nicht. Eigentlich müssten die FW-Abgeordneten also „Freie Gewählte“ heißen – wobei man sich so freilich erst nach einer erfolgten Wahl nennen dürfte. Inhaltsreicher wäre also: Die Namenlosen. Das Kabarett würde von einer CSU-FW-Liaison zweifellos profitieren: Parteichef Hubert Aiwanger aus Niederbayern (genauer: aus Rottenburg an der Laaber – ja, den Rede-Fluss gibt’s wirklich!) wird wegen seines merkwürdigen Dialekts sogar von allen anderen Bayern ausgelacht.

Auf Platz fünf landet mit fast zehn Prozent die SPD. Vergleiche hierzu das Stichwort „Sozialdemokratie“ in einem herkömmlichen Geschichtslexikon.

Die AfD freut sich trotz der mageren zehn Prozent („Ein Volk, ein Reich, ein Zehntel!“) auf die Hessenwahl am 28. Oktober: Dann werden in Wiesbaden im letzten von 16 Landtagen fanatische Christinnen, nörgelnde Muppet-Opas und vorbestrafte Türsteher sitzen. Feiern und Fressen in Bayern und Hessen! Die braune Truppe konnte sich allerdings nicht einmal auf eine gemeinsame Wahlparty einigen, und wir dürfen uns auf eine Kaskade von Abspaltungen und Austritten freuen. Petry Heil! Mit zehn Prozent blieb die AfD weit unter den Erwartungen. Mit dem Schlachtruf wirken, verglichen mit dem AfD-Bundestrend, eher mager. Der geplante Marsch von München nach Berlin wurde vorerst abgeblasen.

 

Tilman Lucke ist zu sehen in: "frisch gepresst. Politcomedy-Late-Night" und in seinem Soloprogramm "Verdummungsverbot".