01.09.2018

„Nischelstadt“ ohne Kopf

...man an kann die Glatzen ja nicht alle über einen Kamm scheren ...

Folge 22

Chemnitz wird zu Schämnitz. 

Wer macht eigentlich immer wieder bei den PISA-Tests mit, bei denen Sachsen so gut abschneidet? Die sächsische Polizei jedenalls nicht. Die Redewendung „dümmer, als die Polizei erlaubt“ wurde diese Woche im sächsischen Duden offiziell geschwärzt – wegen Unmöglichkeit. Die uninformierten Uniformierten in Sachsen gerieten in den letzten Wochen in so arge Bedrängnis wie zuvor ein ZDF-Fernsehteam durch sie selbst.

Autor: TILMAN LUCKE

 

Der alte Chemnitzer Spitzname „Nischelstadt“ („Kopfstadt“, wegen des großen Marxkopfes) ist zur Zeit außer Gebrauch – mangels Kopf. Geistig rechte Arme sind die einzigen Körperteile, die in Sachsen momentan auf der Straße zu sehen sind – unter den zugedrückten Augen der Polizei.

Man kann der Chemnitzer Polizei jedoch keine Einseitigkeit vorwerfen: Schon 2016 ließ sie den potentiellen Selbstmordattentäter Jabr Al-Bakr zweimal am selben Tag entwischen, der anschließend von drei Syrern überwältigt wurde und sich in der Untersuchungshaft unerwartet das Leben nahm. Auf der nach oben offenen BER-Pannenskala sammelte die sächsische Polizei damit wertvolle Punkte im Wettbewerb mit legendären Pannen wie der Hypo Real Estate, der Deutschen Bahn und dem HSV.

So einfach, wie es aussieht, ist es aber nicht: Man kann die Glatzen nicht alle über einen Kamm scheren. Denn wer behauptet, die Hälfte aller sächsischen Polizisten seien Nazis, dem sei entgegnet: Nein, die Hälfte aller sächsischen Polizisten sind keine Nazis! Doch einige können bei AfD-Ausschreitungen problemlos auf die andere Seite der Barrikaden wechseln, tauschen den Helm einfach gegen ein Deutschlandkäppi ein, und beim Bepöbeln von Fernsehteams müssen sie sich nicht einmal umgewöhnen. Nun gut, der LKA-Mann aus Dresden muss jetzt ebendiesen schwarz-rot-goldenen Hut nehmen, aber es ist fraglich, ob das LKA weitere Fälle wie ihn verhüten kann.

Teile der SPD fordern nach Chemnitz eine Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Hoffentlich meinen sie nicht denselben Verfassungsschutz, der erfolgreich so viele Akten über Rechtsextreme angelegt hat, dass er die meisten aus Platzgründen schreddern musste. Oder den Verfassungsschutz, dessen Ex-Präsident Helmut Roewer mit dem Fahrrad durch sein Büro fuhr und dabei eine Pickelhaube trug. Oder den Verfassungsschutz, der Frauke Petry Tipps gab, wie sie sich und ihre damalige Partei AfD einer möglichen Beobachtung entziehen könnte. Vielleicht meint die SPD allerdings einen Verfassungsschutz, der die Verfassung schützt. Den könnte sie doch mal gründen.

Auch die sächsische CDU ist ein Paradies für Blindenhunde: Schon der letzte sächsische König Kurt, der Regisseur von „Biedenkopf und die Brandstifter“, war der Meinung, das Problem des Rechtsextremismus existierte in Sachsen nicht. Und das ist sprachlich völlig korrekt: Ein Problem ist er für Regierung und Polizei ganz offenbar nicht. Auch Biedenkopfs Nach-Nachfolger Stanislaw Tillich hielt für die CDU die Fahne hoch – und die Reihen fest geschlossen. Motto: Macht euch keine Sorben, wir bleiben ein Rechts-Staat! Noch-Ministerpräsident Michael Kretschmer ist 2017 nur zufällig auf dem Chefposten gelandet, weil er ent- und versorgt werden musste, nachdem er seinen sicheren Bundestagswahlkreis verloren hatte. An wen? – Ach so, an die AfD. Dann kann er sich schon einmal dran gewöhnen, was 2019 mit seinem jetzigen Amt geschehen könnte.

Wie geht’s weiter mit Sachsen? Die Spaßpartei APPD fordert schon seit zwanzig Jahren die Umwandlung großer Teile Ostdeutschlands in einen Gewalterlebnispark, an dem Gewaltorientierte unter Inruhelassung der Normalbevölkerung Gewalt ausüben und erleben können. Wäre ein solcher Plan eine Alternative für Deutschland? Viele AfDler, Reichsbürger und Pegidenten (Peginesen? Pegidioten? Pegierasten?) wohnen ja schon dort, und es sollte ein Leichtes sein, Gefährder, Schläfer und Schariapolizisten ebenfalls anzusiedeln. Auch Hassprediger sind willkommen, und Markus Söder darf gern Kreuze als Gastgeschenk mitbringen. Mit etwas Glück kann Rechtsstaatstester Sami A. aus Tunesien statt nach Bochum nach Chemnitz zurückgeholt werden („Er ist wieder A.“). Sein Ehemann Franco A., der Verwandlungskünstler der Bundeswehr, mischt ebenfalls mit. Die Regierung des Gewalterlebnisparks übernimmt die Nazi-Salafisten-Deppen-Arschlöcher-Partei (NSDAP), Nationalhymne wird „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten, nach Chemnitz war sein Ziel“, und das Wort „Gewaltenteilung“ erhält eine ganz neue Bedeutung. Und die Tagesschau kann sich endlich wieder auf die wirklich spannenden Themen wie Olaf Scholz und sein Rentenkonzept konzentrieren.

 

Tilman Lucke ist zu sehen in: "frisch gepresst. Politcomedy-Late-Night" und in seinem Soloprogramm "Verdummungsverbot".