11.05.2020
No. 106
Das kahr’s –
Ende eines Wer-Beauftragten
Die SPD schafft es als einzige Partei, bei einer Personalentscheidung gleich zwei Verlierer zu produzieren: Wehrbeauftragte wird weder der Hamburger Hochleistungshaudegen Johannes Kahrs noch Amtsinhaber Hans-Peter Bartels, sondern die Juristin Eva Högl. Nach dem bewährten Koalitionsrezept: Fachleute ja – aber doch bitte nicht auf ihrem Gebiet.
Andrea Nahles wäre stolz! Fraktionschef Rolf Mützenich hatte als Intendant des Intrigantenstadls im letzten Herbst dafür gesorgt, dass sich sowohl Bartels als auch Kahrs Hoffnung auf den Posten machen konnten. Das SPD-Personalkarussell drehte sich dann aber immer schneller und mit immer weniger Insassen: Giffey wird der neue Müller, dafür wird Müller zu Högl, Högl wird Bartels, und Bartels wird fallen gelassen. Pfläumchen, wechsel dich! Oder wie die Familienministerin mit ihrer kraftlosen Gouvernantenstimme sagen würde: ein Gute-Bürgermeister-Manöver. Berlins angerosteter Verweser Michael Müller soll nämlich zur nächsten Bundestagswahl in die Berliner Landesliste aufrücken, deren Platz eins bisher Högl blockierte. Und pünktlich im Herbst 2021 ist das Rote Rathaus frei für Bürgermeisterin Giffey. Ganz Berlin wird eine Kita! Es war die ausgeklügeltste Postenpolonaise seit dem Schulzzug 2017: Damals wurde Steinmeier Gauck, Gabriel wurde Steinmeier, Schulz wurde Gabriel, und Schulz gewann die Bundestagswahl. War doch so, oder?
Haupttätigkeit der Wehrbeauftragten ist die jährliche Verlesung des Armutsberichts der Bundeswehr (inoffizieller Titel: Bericht des Wehrbauftragten). Bartels wählte als Zusatzmove seit seinem Amtsantritt stets die Forderung nach mehr Geld für die Bundeswehr. Auch Kahrs, immerhin Oberst der Reserve, hätte diese Litanei wohl fortgesetzt. Immerhin war er jahrelang, ohne dies dem Bundestag anzuzeigen, aktiv in der Lobbyvereinigung „Förderkreis Deutsches Heer“. Mehr Geld ist bekanntlich der Schlüssel zur Lösung aller Probleme: Flüchtlingskrise, BER oder dass Peter Altmaier ausschließlich Krawatten in unvorteilhaftem Rosa trägt – all diese Großprobleme sind bekanntlich längst gelöst, einfach nur durch mehr Geld. Man stelle sich vor: Wenn schon so ein Erfolgsprojekt wie das Gewehr G36 die Allgemeinheit 210 Millionen Euro gekostet hat, wie oft könnten wir erst danebenschießen, wenn wir das Doppelte ausgeben? Högl hingegen könnte eher zu den Sparsamen gehören. Wenn sie mehr Geld fordert, dann höchstens, um sich ein E zu kaufen.
Kahrs wäre für den Posten zwar genetisch geeignet gewesen: Seine Mutter, die ehemalige Bremer Bildungssenatorin, trägt den programmatischen Vornamen „Bringfriede“. Er selbst ist allerdings eher der schneidige Typ: Selbst in der Frisurenkrise fiel der bollernde Burschenschaftler noch durch seinen untadeligen Undercut auf. Aus seiner Juso-Zeit sind mehrere Anzeigen wegen anonymen Pöbelns am Telefon aktenkundig, und auch sonst ging der Disser vom Dienst nie zimperlich mit politischen Gegnern und, noch schlimmer, mit Parteifreunden um. Des Weiteren ist er Mitglied des „Lassalle-Kreises“ in Erinnerung an den ersten SPD-Vorsitzenden Ferdinand Lassalle, der knapp vor Kahrs die ewige Heißsporn-Hitliste der SPD dadurch anführt, dass er bei einem selbstangezettelten Duell aus Versehen starb. Zudem spielte der Träger des Schwarzen Gürtels in Strippenzieherei in Hamburg nahezu bei allen Personalentscheidungen die entscheidende Rolle. Ein echter Wer-Beauftragter!
Bei aller Kritik an dem Burscheng’schaftlhuber Kahrs: Als Präsident des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (ja, das gibt es noch!) praktizierte er rhetorisch null Toleranz gegenüber Rechtsextremen: „Hass macht hässlich, schauen Sie doch in den Spiegel!“ Und Kronen der Schöpfung wie Beatrix von Storch, Alexander Gauland und Armin-Paul Hampel treten tagtäglich im Plenum den Beweis für diese Feststellung an.
Unvergessen bleibt auch Kahrs’ Bundestagsrede vom 30. Juni 2017: Damals beendete der Bundestag mit der „Ehe für alle“ die ewige Diskriminierung von Schwulen und Lesben – entgegen dem Willen von Merkel, Lammert und anderen. Merkel hatte sich in einem Interview in einen Fünf-Minuten-Satz verstolpert, der – so Wirrologen – zum Inhalt hatte, dass die Abstimmung im Bundestag zur Gewissensentscheidung erklärt und damit freigegeben werden könnte. Kahrs nannte dies ihren „Schabowski-Moment“ und kofferte am Ende seiner Rede mit wehnerschem Furor in Richtung einer verdatterten Kanzlerin: „Vielen Dank für nichts!“ Bundestagspräsident Lammert, der seine Verachtung von Homosexuellen nicht selten offen zur Schau trug, blieb als Kommentar zu Rede nur ein säuerliches: „Na ja.“
Nun machte sich Kahrs durch seinen Verzicht auf das Bundestagsmandat selbst zum Oberst der Konserve und kehrte der Politik den Rücken. Eine Einladung zum Tee in die Eifel soll schon raus sein. Als bekennender Fan von Disney-Comics wird Kahrs in den kommenden Monaten viel Zeit für seine „Lustiges-Taschenbuch“-Sammlung haben. Und es wird ihn trösten, dass in Entenhausen die Politiker grundsätzlich als Schweine gezeichnet werden.
Text: Tilman Lucke