18.06.2020

No. 113

Volkssport Jammern

Deutschland bei Olympischen Jammerspielen souverän auf dem Treppchen

 

Weltweit fällt der Sport wegen Corona aus – nur eine Sportart nicht: der Volkssport Jammern. Weltmeister Deutschland glänzt in den Paradedisziplinen Lamentieren, Heulen, Zähneklappern und natürlich Jammern auf hohem Niveau.

 

 

Die Deutschen besinnen sich auch diesen Sommer wieder auf ihre Kernkompetenzen: Grillen und Jammern. Aber beim Jammern gibt’s mehr Würstchen. Überall überbieten sich selbsternannte Opfergruppen an Larmoyanz. Nahezu alle stimmen in die Jammersession ein: Die Mehrwertsteuer für Restaurantbesuche wird gesenkt? – Okay, aber warum nicht auf Getränke? Die Agrarlobby bekommt Sonderregelungen für Spargelstecher? – Danke für nichts, noch wichtiger ist jetzt die Verschiebung der EU-Ökoverordnung! Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent ausgeweitet? – Zu wenig! Fürs Daheimsitzen will ich mit mindestens hundert Prozent belohnt werden.

In der Autonation Deutschland herrscht die Vollkasko-Mentalität, alle Ausgaben und Risiken auszulagern und niemandem die Folgen der eigenen privaten und geschäftlichen Entscheidungen zuzumuten. Die Interessengruppen muten an wie Dreijährige, die um die Zuwendung ihrer Eltern buhlen: Mein Bruder hat aber eine Milliarde Staatshilfe gekriegt, die will ich auch! – Ich will aber mehr als du, denn ich bin systemrelevanter!

Diese Top 3 landen bei den Olympischen Jammerspielen auf dem Treppchen: Die Lufthansa hält die unsichtbare Hand des Marktes auf und fordert Rettung durch den Staat, aber ohne dass er an der Konzernspitze mitreden darf! Schließlich ist er ein schlechter Unternehmer. Sagen die, die es wissen müssen, nämlich die Wirtschaftspolitiker der CDU. Rechnen wir mal nach: Für 9 Milliarden Euro erwirbt der Staat 20 Prozent der Anteile an einer Firma, die aktuell an der Börse 4,5 Milliarden Euro wert ist. Ergäbe nach Adam Riese einen Kaufpreis von 900 Millionen Euro. Nach Peter Altmaier sind es 9000 Millionen. Hat da der Ludwig Erhard für Arme vielleicht einfach eine Null drangehängt? Und wenn ja, wen? Sich? So einer sollte vielleicht wirklich keine Konzernentscheidungen mittragen. Statt sich beim Staat, also bei uns allen, für die Konzernrettung zu bedanken, gilt die erste Sorge der Lufthansa-Oberen ihren Vorstandsboni. Bronzemedaille im Heulen und Zähneklappern für die Lufthanseaten!

Silber gewinnen die Autoindustrie sowie ihr Sprachrohr IG Metall, die gemeinsam die größte deutsche Religionsgemeinschaft bilden, die sogenannten „Autisten“: Statt sich zu freuen, dass das Benzin so billig wie nie ist, beschimpft man die SPD für das Verhindern der Abwrackprämie. Das Auto gehörte zu den ersten Branchen, die im März ihre Produktion herunterfuhren. Nicht primär wegen der Infektionsgefahr, sondern weil die Lieferkette bereits in Schieflage gerät, wenn in Wuhan eine Fledermaus leicht hustet. In Europa ist kein einziges Einbauteil mehr auf Lager, lieber lässt man sich das Auto just in time und just in Teilen um die ganze Welt liefern. Hätte, hätte, Lieferkette! Da kommt Corona als Ausrede gerade recht. Ein einen Wirtschaftszweig, der so schlecht für die Zukunft gerüstet ist wie die Autolobby, braucht dringend eine Abkackprämie. Für ihre Mafiamethoden gebührt den „Brigate carosse“ der zweite Platz im Heulen und Zähneklappern.

Es nimmt übrigens wunder, dass diesmal nicht auch noch die Pendler im Bettel-Battle mitmischen, da die Ärmsten wegen Homeoffice nicht mehr pendeln und damit keine Pendlerpauschale mehr abkassieren können. Verdienstausfall! Wann wurde eigentlich die Pendlerpauschale zuletzt erhöht? – Ach so, im Dezember 2019, um drei Cent pro Kilometer, in der Nachbesserungsrunde zum Klimapaket. Und davor? – Ach, im September 2019, um fünf Cent pro Kilometer, im selben Klimapaket. Das ist noch lange nicht genug! Wird Zeit, dass sich die Pendler ihren Platz auf dem Jammertreppchen zurückholen.

Souveräne Sieger im Dauerjammern sind auch 2020 wieder die Familien. Der Corona-Kinderbonus, die politische Quengelware am Kassenband des GroKo-Supermarkts, ging nach hinten los: Die Politik dachte sich, sie tue Kindern mit 300 Euro etwas Gutes. Statt dessen verkündete neulich beispielsweise der Kabarettkollege Martin Zingsheim von der Kanzel der „Anstalt“: „Kleiner Tipp vom vierfachen Vater: Kindergeld, Elterngeld – einfach mal ’ne Null dranhängen! Macht ihr eh nicht.“ Vielleicht sollte er einfach ganz aufhören, für sein Geld zu arbeiten, und es einfach so überwiesen bekommen, dafür, dass er so ein toller vierfache Vater ist. Er fände das bestimmt gerecht.

Wenn Sie sich überlegen, demnächst ein Kind zu bekommen, machen Sie das ruhig! Es kostet Sie keinen Cent. Sie schreiben einfach auf, wie viel Zeit und Geld sie für das Kind aufwenden, und am Ende jedes Monats schreiben Sie eine Rechnung an den Staat. Der übernimmt das dann komplett. Sie dürfen aber keinesfalls vergessen, genau diesen Staat hinterher als geizig zu beschimpfen.

 

 Text: Tilman Lucke