07.10.2020

No. 128

Nobel geht der Preis zugrunde

 

Die Nobelpreiswoche geht los: Keiner der Nobelpreise geht an Donald Trump, erst recht nicht in Medizin. Alles andere ist völlig offen. Am offensten – und egalsten: der Literaturnobelpreis.

 

Am Donnerstag wird in den Buchhandlungen wieder ein großer Tisch den Eingangsbereich versperren, gefüllt mit Büchern eines Autors, von dem noch nie jemand gehört hat. Ramschverkauf? Falsch! Der Nobelpreis für Literatur wird vergeben. Im letzten Jahr ging der Preis an das österreichische Völkermordtestimonial Peter Handke. Aber jeder Kontinent soll mal dran sein. Eine Quotierung nach regionaler Herkunft nutzt bekanntlich auch Angela Merkel bei der Zusammenstellung ihres Kabinetts – so etwas garantiert Kompetenz. Favoriten für die diesjährige Auszeichnung sind drei VertreterInnen des Dadaismus: Annegret Kramp-Karrenbauer für ihre zwei 20-minütigen Rücktrittsreden und weitere gestammelte Werke, Andreas Scheuer für seine Aktenordner zur Maut und das Robert-Koch-Institut für die Erklärung des R-Werts.

Ein Blick auf die Preisträger der vergangenen Jahre zeigt, in welch große Fußstapfen der oder die Preisträgerin 2020 treten wird:

- 2009 ging der Literaturnobelpreis an Herta Müller, die aus Rumänien stammt und in Friedenau lebt. Sie ist also die einzige Herta aus Berlin, die jemals etwas gewonnen hat.

- 2011 erhielt Tomas Tranströmer aus Stockholm den Preis. Alter Schwede! Der verströmt einiges an Tran – schrieb er doch in seinem langen Leben gerade mal zwölf kleine Gedichtbändchen, vor allem Haikus. Was sind Haikus? Haiku Maas? – Nein, diese japanische „Gedicht“-Form zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf Überflüssiges wie Reim und Metrum verzichtet. Dummerweise sind genau diese beiden Dinge das, was Gedichte im europäischen Sprachraum charakterisiert. Tranströmers bekanntestes Gedicht lautet: „Als der Ausreißer gefasst wurde, / hatte er die Taschen / voller Pfifferlinge.“ Leider sind nicht einmal Pfifferlinge die Währung, in der er sich diese fantasieloseste Literaturform aller Zeiten bezahlen ließ, sondern eine knappe Million Euro Preisgeld. Da bist du platt – fast so platt wie Tranströmers Bücher und seine Gedichte!

- Der Preis 2012 ging an den Chinesen Mò Yán, der zum Thema Menschenrechte in China ungefähr so viel sagt wie Angela Merkel und die EU. Kein Wunder, sein Künstlername lautet übersetzt: „Sprich nicht!“ Ein Rat, den man ihm auch fürs Schreiben hätte geben können.

- Bob Dylan bekam den Nobelpreis 2016 und hielt es nicht einmal für nötig, ihn persönlich abzuholen. Er hatte wochenlang geschwiegen, um schließlich anzukündigen: „Ich komme, wenn es mir möglich ist.“ Eine Formulierung, die normalerweise Wohnungsumzügen und Schwiegermutterbesuchen vorbehalten ist. Kurz vor Ende der halbjährigen Frist hielt der Nuschel- und Wuschelkopf dann endlich seine Nobelpreisrede – bereits 2017 coronakonform von zu Hause aus. Der profane Grund: Ohne Rede hätte er das Preisgeld nicht bekommen.

Man kann den Literaturpreis aber auch als Schweigegeld auffassen, denn die meisten Autoren schreiben fast nichts mehr, nachdem sie einmal den Preis erhalten haben. Von Günter Grass zum Beispiel kam nach dem Nobelpreis im Prinzip nur noch ein Gedicht gegen Israel. Dafür bekam er später immerhin den „Echo“ in der Kategorie „Bester Antisemitismus“.

Gelegentlich kann der Literaturnobelpreis AutorInnen in Autokratien persönlich schützen, wie beispielsweise Orhan Pamuk in der Türkei oder Swetlana Alexijewitsch in Weißrussland, die als einziges Mitglied des oppositionellen Koordinierungsrats noch auf freiem Fuß und im Lande ist. Aber hat diese politische Schutzfunktion etwas mit Literatur zu tun? – Vielleicht bin ich auch einfach nur neidisch, weil der Preis laut Statut „das Beste in idealistischer Richtung“ auszeichnen soll. Damit fallen Kabarett und Satire als eher destruktive Kunstformen vollkommen raus.

2018 sah es kurzzeitig so aus, als sei der Literaturnobelpreis Geschichte: Aus der Schwedischen Akademie, die den Preis vergibt, traten innerhalb weniger Wochen so viele Mitglieder aus Protest aus, dass das Gremium beschlussunfähig wurde und weder Preisträger noch neue Mitglieder wählen konnte. Der Grund für die Austritte war sexueller Missbrauch im Umfeld der Akademie. Wenigstens das könnte doch ein gutes Vorbild „in idealistischer Richtung“ abgeben: Ich kenne noch ein anderes Gremium, das sich wegen sexuellen Missbrauchs so zerstreiten sollte, dass es niemanden mehr wählen kann: das Kardinalskollegium.

 Text: Tilman Lucke