08.02.2021

No. 147

Warm anziehen am Welttag der Jogginghose

Ende Januar war der „Internationale Tag der Jogginghose" – nachdem bereits 2020 das „Internationale Jahr der Jogginghose" war. Der Welttag jährte sich bereits zum zwölften Mal – genau wie meine Jogginghose selber.

 

Das gemütliche Lockdownbeinkleid feiert seit fast hundert Jahren seinen Sieges(gummi)zug mitten in die Gesellschaft. Längst ist die Klamotte, der dieser Tag gewidmet ist, salonfähig geworden – im Gegensatz zum Trainingsanzug, der ist lediglich ballonfähig. In der Corona-Pandemie saß jeder, wirklich jeder während zahlloser Online-Meetings untenrum im baumelfreundlichen Polyestertraum und markierte zugleich obenrum den Engagierten. Sogar auf dem CDU-Onlineparteitag rief Generalsekretär Paul Ziemiak den Delegierten zu: „Dieser Parteitag findet in ganz Deutschland statt, in den Wohnzimmern [...], auf dem Sofa. Der eine im Anzug, vielleicht der andere auch in einer Jogginghose.“

Vielleicht aber auch die andere: Angela Merkel – die als CDU-Vorsitzende seit zwei Jahren nicht mehr aktiv ist und als Bundeskanzlerin seit 15 Jahren – ließ sich zuschalten, war aber lediglich zur Hälfte zu sehen. Der untere Teil der Kanzlerin hatte sich vielleicht schon in den textilen Feierabend entlassen. Stellen wir es uns bildlich vor: Frau Merkel kommt abends nach getaner Regierungsarbeit heim, wechselt vom Bundeshaushalt in den eigenen, hängt die Schlüsselressorts an die Wand, wirft das Parteiprogramm in die Ecke und zieht sich erst mal statt des zwickenden Hosenanzugs die gute Adidas über, dazu ein gemütliches, verwaschenes WM-Trikot in Übergröße, ab auf die Couch und Füße hoch!

Warum nicht? Kanzler waren immer dann besonders geschichtsträchtig, wenn sie die strenge Etikette mal sein und sich ein bisschen gehen ließen: Helmut Schmidt etwa bekam seine verbeulte Prinz-Heinrich-Mütze persönlich von der Hamburger Sturmflut angespült, Adenauer fällte seine wichtigsten Entscheidungen beim Bocciaspielen im Pepitahut oder beim Komasaufen mit Chruschtschow, und Helmut Kohl hätte die DDR nicht geschenkt bekommen, wenn er bei Gorbatschow nicht in einer vertrauensbildenden Maßnahme namens Strickjacke angetanzt wäre. Und Gorbi dachte sich: Wer solche Klamotten trägt, wird uns nie wieder im Winter überfallen! Dürfen wir uns also in Angela Merkels letztem Amtsjahr auf einen geschichtsträchtigen „Jogginghosengipfel“ mit Wladimir Putin in der Uckermark freuen, auf dem sie ihm leger die Freilassung der Krim abnötigt? Andererseits wünscht man sich natürlich nicht die gesamte Geschichte im Gammellook: Die Landung in der Normandie beispielsweise wäre als „Casual D-Day“ gewiss ins Wasser gefallen.

Wie läuft es bei den streng geheimen Online-Ministerpräsidentenkonferenzen? Fläzen sich da Winfried Kretschmann und Reiner Haseloff stilecht in Joggingkluft und gammeln um die Wette? Hat Markus Söder zwischen zwei harten Maßnahmen noch Platz für eine Runde Taschenbillard? Dagegen wäre Peter Altmaier in Radlerhosen fast schon ein bisschen overdressed. Übrigens: Ein Lockdown fällt nachgewiesenermaßen lockerer aus, wenn Hosenbund und Länder bequem sitzen!

Bemerkenswert ist, dass kein Mensch mehr die Jogginghose zum Joggen anzieht. Der Name ist also ein Oxymoron – wie Ost-West-Falen oder „herrenloses Damenfahrrad“. Man könnte sogar behaupten, es handle sich um das unsportlichste Kleidungsstück nach der faulen Socke.

Apropos: Ein Politiker hat seit Samstag besonders viel Freizeit – und viel Grund für eine Jogginghose: Friedrich Merz. Die CDU will ihn nicht, und auch Frau Merkel übernimmt ihn zum zweiten Mal überraschend nicht in ihr Kabinett. Dem abgehobenen Mittelständler bleiben jetzt nur noch Hartz IV, eine Dose Billig-Champagner auf dem Sofa und ab und zu ein Flug mit dem Privatjet zur Pommesbude an der Ecke. Allerdings erst mal nur zwei Jahre lang: 2023 muss er ja wieder erfolglos zur CDU-Wahl antreten, wenn Armin Laschet mutmaßlich über eine Designer-Jogginghose seines schnöseligen Sohnes gestolpert sein wird.

Bleibt die Frage: Warum fällt der Jogginghosentag ausgerechnet auf Ende Januar? Weil auch Donald Trump nun endlich ein Fall für die Couch ist. Übrigens sollen Jogginghosen auch im Knast enorm beliebt sein!

 Text: Tilman Lucke