29.03.2021

No. 154

Angela Merkel sagt Entschuldigung

Die Bundeskanzlerin hat sich entschuldigt – für die juristisch unklare Einstufung zweier einzelner Tage im April. Darunter Gründonnerstag, der auf den 1. April fällt, das ist so etwas wie der Nationalfeiertag der Bundesregierung. Weitere Entschuldigungen der Kanzlerin hier im Wortlaut.

 

Liebes Volk, ich möchte mich von Herzen dafür entschuldigen, dass ich in der Corona-Krise in den letzten Wochen so ziemlich alles falsch gemacht habe und mich neulich lediglich für das kleine Detail der Osterruhe entschuldigte, um von ungleich größeren Fehlern abzulenken.

Es tut mir auch leid, dass ich nicht mit den Kirchen geredet habe, bevor ich dazu riet, zu Ostern auf Gottesdienste zu verzichten. Damit müssen sich die armen Kirchen ja fühlen wie jedes poplige Restaurant, jedes Theater und jedes Reisebüro. Das bedaure ich aufs Härteste.

Ich entschuldige mich, dass ich immer gebetsmühlenartig vom „Impfen, Testen und Nachverfolgen“ spreche, obwohl von keinem der drei die Rede sein kann und ich das persönlich in letzter Zeit auch nicht nachverfolgt habe. Auch die 69 Millionen Euro für die Corona-Warn-App wären in meinem Kanzleramts-Kamin besser aufgehoben gewesen als bei der Telekom und SAP. Außerdem wäre es nett von mir gewesen, wenn ich Ihnen verraten hätte, für welchen Dezember die Dezemberhilfen gedacht sind. Mea culpa.

Ich sage zudem herzlich sorry für den Ablauf der letzten Ministerpräsidentenkonferenzen, die meist wie ein guter EU-Gipfel spät nachts stattfinden, wenn das Gehirn schon längst auf Halbmast weht. Unsere hasenherzigen Ergebnisse lassen sich mit zwei Wörtern zusammenfassen: „Entweder – und“. Wir versprechen das eine, aber wir bauen so viele Bedingungen dafür ein, dass es zum Gegenteil kommt. Öffnungsperspektiven ja, aber nur in Monaten ohne R-Wert und wenn die Inzidenz unter den IQ von Jens Spahn fällt.

Wir alle sind am Ende dieser Freakshows immer derart abgekämpft, dass wir dann immer noch eine ausgewählte Bullshit-Regelung in den MPK-Beschluss schmuggeln. Einfach so, weil wir es können. Anders ließen sich die 800-Quadratmeter-Regel, die 15-Kilometer-Regel oder die 5-Personen-plus-Kinder-unter-14-Jahre-Regel nicht erklären. Mein bisher größter Gag – auf den ich sehr stolz bin, für den ich aber gleichwohl um Verzeihung bitte – war es Anfang März, Andreas Scheuer zum Chef der Taskforce für die Schnelltests zu machen. Vermutlich würde sogar das Coronavirus persönlich die Taskforce besser leiten als dieser Totalausfall! Wir brauchten aber noch eine Schlusspointe unter unserem Appell, dass die Tests auf gutem Weg sind und dass es jetzt aber wirklich ernst ist. Sie müssen wissen, Realsatire ist so ein Hobby von mir. Die drei Affen über meinem Schreibtisch habe ich deshalb liebevoll Peter, Jens und Andreas genannt: Nicht zahlen, nicht impfen und nicht testen.

Doch genug von Corona – es gibt auch noch so viel anderes, wofür ich mich endlich mal entschuldigen möchte: etwa dafür, dass ich mich 2003 so dämlich verschätzte, als ich US-Präsident George Bush im Irakkrieg das Wort redete. Damals fing die ganze Misere im Nahen Osten überhaupt an, und heute tue ich so, als wäre ich damals natürlich dagegen gewesen. Das mit den Massenvernichtungswaffen habe ich vermutlich selbst nie geglaubt, es ging mir nur, frei nach Dieter Hildebrandt, darum, mich in Abgrenzung zu Gerhard Schröder bei Bush als „erste Patrone“ zu bewerben. Sorry, so etwas macht man nicht.

Es tut mir auch furchtbar leid, dass ich mich von Karl-Theodor zu Guttenberg bequatschen ließ, im Ausland für Wirecard zu werben. Guttenberg! Der beste Beweis dafür, dass der Adel wegen Gehirnerweichung seit hundert Jahren völlig zu Recht aufs Regieren verzichtet! Dieser Schwurbelschnösel ist so toxisch, nach dem Gespräch mit ihm musste ich erst mal wieder ein bisschen Seriosität tanken, indem ich drei Stunden lang mit einem vorbestraften tschetschenischen Gebrauchtwagenhändler telefonierte.

Überhaupt, meine Personalauswahl: Schwer vermittelbar. Katharina Thalbach sagte als Kanzlerin im Film „Der Minister“ so treffend wie verzweifelt: „Ich muss ein Kabinett zusammenhalten, das aussieht wie ein Gruppenbild von Picasso, das er im Suff gemalt hat.“ Das mag wahr sein, ist aber noch lange keine Entschuldigung dafür, dass ich in den letzten 16 Jahren Schießbudenfiguren wie Rainer Brüderle, Dirk Niebel, Kristina Schröder, Alexander Dobrindt, Julia Klöckner, Christian Schmidt (wer?) und Ronald Pofalla durchfüttern ließ. Manche Flitzpiepen wie Thomas de Maizière ließ ich sogar nacheinander drei verschiedene Ressorts verkacken. Survival of the shittest! Oder Anja Karliczek: Die Bildungsministerin lernt nach eigenen Worten jeden Tag etwas Neues über ihr Amt. So lange werden Bundesfortbildungen normalerweise gar nicht bezahlt! Und dann sagt die allen Ernstes: „Jeder technologische Fortschritt hat sich hinter unser christliches Menschenbild einzureihen.“ Mit dem Satz könnte sie jede Corona-Demo rocken!

Aus all diesen Freaks und Lappen am Kabinettstisch könnte ich eine Fail-Compilation von epischer Länge zusammenschneiden – wenn ich mich mit Digitalisierung auskennen würde. Einige Minister haben die Bundesrepublik – und damit Sie, liebe Landsleute – eine schöne Stange Geld gekostet. Für die 560 Millionen Euro von Scheuers Pkw-Maut (für meine Lüge „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben“ entschuldige ich mich übrigens auch!) hätte sich mein früherer Verteidigungsminister Franz Josef Jung beispielsweise 800-mal die Bombardierung von Kundus mit anschließender Entschädigung der Todesopfer leisten können.

Apropos Entschädigung: Es tut mir schrecklich leid, dass meine Regierung im Oktober 2010 aus purem Lobbyismus die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängert hat. Das fand damals übrigens auch nachts statt. Fünf Monate später war ich dann aber schlauer und kehrte zum Atomausstieg zurück. Ich gebe zu, es waren sehr teure fünf Monate: Die Atomkonzerne mussten wir wegen dieser zwei völlig konträren Beschlüsse mit schlappen 2,4 Milliarden Euro entschädigen. Sorry, Leute, das Geld ist weg.

Ich könnte mich noch für viel mehr entschuldigen: zum Beispiel dafür, dass ich die Ehe für alle jahrelang verhindert habe und mir mit dem Spruch „Ich tu’ mich damit schwer“ nicht mal Mühe gab, meine Homophobie zu verstecken. Dafür, dass ich 2017 trotzdem Applaus dafür einheimste, die Abstimmung über die Ehe für alle freigegeben zu haben, in der ich dann ein weiteres Mal meiner hartherzigen Freudlosigkeit gegenüber Leuten, die sich einfach nur lieben, freien Lauf ließ und mit Nein stimmte. Das war bewusst verletzend. Tut leid.

Für den BER bitte ich selbstverständlich auch um Verzeihung – obwohl ich an dem nur zu 26 Prozent schuld bin. Oder dafür, dass Glyphosat wegen der deutschen Zustimmung im EU-Rat immer noch erlaubt ist. Dass Ärztinnen weiterhin mit einem Bein im Gefängnis stehen, wenn sie über die Methode einer Abtreibung informieren, dass sie aber zugleich von fanatischen Christen weiter bedroht und beschimpft werden dürfen. Dafür, dass ich Ursula von der Leyen, die Gorch Fock der Politik, unter Missachtung des zuvor von mir selbst unterstützten Spitzenkandidatenprinzips nach Brüssel abgeschoben habe, damit sie dort die Impfstoffbeschaffung wohlorchestriert vergeigen kann. Dass 2020 nur 420 neue Windkraftanlagen in Deutschland gebaut wurden – weil zwar im Koalitionsvertrag steht, dass wir mindestens dreimal so viele neue Windräder pro Jahr brauchen, aber meine Regierung alles dafür tut, dass sie nirgendwo stehen dürfen. Entweder – und. Verzeihen Sie mir bitte auch, dass ich in mein groß angekündigtes Klimapaket als wichtigste Maßnahme die Erhöhung der Pendlerpauschale reingeschrieben habe. Dafür, dass mich die Ein-Bullshit-pro-Kompromiss-Regel dazu zwang, in der Nachbesserungsrunde zum Klimapaket eben diese Pendlerpauschale abermals zu erhöhen. Dass es mir vollkommen wumpe ist, wie sehr die Autokonzerne den Fortschritt verpennt haben und wie sehr sie sich stattdessen aufs Wegschummeln gesundheitsschädlicher Stickoxide konzentrieren. Dafür, dass ich laufend nur Verkehrsminister von der CSU ernenne, die denken, mit dem Verkehrsetat dürfe man ausschließlich bayerische Straßen pflastern. Dass ich für jene CSU, diese tolldreisten Trachtentunten, in den letzten Jahren insgesamt drei neue Wahlgesetze schreiben ließ, eins schlechter als das nächste, nur damit diese feisten Hinterbänkler weiter ihre Direktmandate plattsitzen und Maskendeals einfädeln können, auch wenn sie gar niemand mehr wählt. Meinetwegen wird der Bundestag bald so groß, da würde Peter Altmaier ganz alleine reinpassen!

Fehler müssen als Fehler benannt werden. Diese Fehler sind zwar nicht einzig und allein meine Fehler. Aber am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung, qua Amt ist das so. Dennoch entschuldige ich mich dafür, dass ich trotz all dem, was ich in den letzten Minuten gesagt habe, auf keinen Fall die Vertrauensfrage stellen werde.

Und schließlich bitte ich um Verzeihung dafür, dass ich eigentlich schon im Oktober 2018 zurückgetreten und trotzdem immer noch da bin. Wird nicht wieder vorkommen. Vielleicht.

Ich bedaure, dass ich keine Nachfragen zulassen kann, denn ich muss gleich weg. Zur Ministerpräsidentenkonferenz. The show must go on, das werden Sie verstehen. Sie entschuldigen mich!

 Text: Tilman Lucke