08.06.2021

No. 164

Die Dame vom Gesundheitsamt

Trotz Erfolgen wie massenhaft negativen Corona-Tests (in besonders guten Testzentren sogar hundert Prozent) und der Öffnung aller Cafés, die noch nicht pleite sind, ist die Pandemie noch nicht vorbei. Zeit, einmal die tägliche Arbeit der Dame vom Gesundheitsamt nachzuverfolgen. (Das Lied zum Text können Sie hier hören.)

 

Ich bin die nette Dame vom Gesundheitsamt,
hab’ nie auch nur ein kleines Formular verschlampt.
Die letzte Zeit war ziemlich stressig insgesamt:
Corona war
in diesem Jahr
unzweifelbar
der große Star.

 

Wenn ich am Morgen einen Fall Corona vom
Gesundheitsamt der Nachbarstadt hereinbekomm’ –
und liegt der Fall auch sehr vertrackt –
dann ruf’ ich an und frag’ exakt:
„Mit wem begab sich ak-
tuell ein Nahkontakt?“

 

Wenn der dann sagt: „Ich war noch jüngst beim Karneval
und wunderte mich über meinen Hustanfall“,
dann greif’ ich schon
als Reaktion
zum Telefon

 

und klappere die Risikokontakte ab
als Mittelding aus Sisyphos und Äskulap.
Die Nachverfolgung hält auf Trab,
Verdachte gibt es nicht zu knapp.
Bevor ich eine Spur ertapp’,
mach’ ich nicht schlapp!

 

Ham Sie ein Symptom
wie Husten, Gliederschmerzen, Fieber oder Ausfall des Geschmacks,
dann sag’ ich: „Stay at home!
Gehn Sie zum Test, und warten Sie auf einen Brief oder Fax.
Drin steht, dass präventiv
zwei Wochen Eigen-Quarantäne dringend anzuraten sei.
Und wenn dann dieser Brief
bei Ihnen ankommt, ist die Quarantäne auch schon vorbei.“

 

Die freien Kirchen sind so frei und oft auch dreist.
Wenn die in großer Zahl erkranken, das beweist:
Was überspringt, ist nicht ausschließlich Heil’ger Geist.
Der Lobgesang
macht durch die Bank
so manche krank –
dem Herrn sei Dank.

 

Und feiern hundert Mann im Haus ein Zuckerfest,
ist klar, dass SARS nicht lange auf sich warten lässt.
Doch ich stör’ das Beisammensein,
will die Gemeinschaft nicht entzwein,
und sperre sie, auch wenn sie schrein,
gemeinsam ein!

 

Und wenn ein Covidiot meint, diese Maskenpflicht,
die gilt im ICE, doch nur für ihn halt nicht,
sagt Kekulé:
Ist nicht okay!
Ojemine...

 

Der Typ soll sehen, was für ein Aerosol
ich gegen ihn aus meiner großen Tasche hol’:
Leg’ ihm ein Knöllchen auf den Tisch
setz’ meinen Wilhelm drunter frisch,
und zisch’: „Wenn ich dich kleinen Fisch
noch mal erwisch’!“

 

Und wenn im Shutdown aus Versehn ein Schlachtbetrieb
den netten Spenden an die Politik zulieb
von anderen Behörden unbeachtet blieb,
dann kann es sein,
manch armes Schwein
aus diesen Reihn
fängt sich was ein.

 

Doch ich hab’ vom Gesundheitsamt aus hingesehn
und unterbinde weit’res Infektionsgeschehn!
Bald ist mit Hilfe allerlei
Verfügungen die Schlachterei
in Weltrekordzeit wieder frei
von SARS-CoV-2!

 

Mein Alltag im Büro ist voll von Meldepflicht,
von Fallverfolgung, Viruslast und Doppelschicht,
von Infektion,
Problemregion,
Kontaktperson...

 

Doch endlich hab’ ich jetzt mal vierzehn Tage frei!
Balkonien ruft, das ist zur Zeit der letzte Schrei.
Denn im Gesundheitsamt kursiert
ein Virus, und da ist’s passiert:
Ich hab’ mich nämlich unmaskiert
dort infiziert.

 Text: Tilman Lucke