06.05.2022

No. 209

Lupenreine Autokratien, veraltete Sekten und gefährliche Mutanten – Verrücktes im April

Das erste neue Bundesland wird 70, ein Kriegsschiff sinkt bei Windstärke 4, und Armin Laschets Stimme zählt nicht und wird deshalb gezählt: Der April macht mal wieder, was er will. Und Anteilnahme macht MP.

Autor:  Tilman Lucke

 

4. April: Die Süßwarenindustrie warnt vor Engpässen durch den Ukrainekrieg, weshalb Öl, Nüsse und Sägemehl knapp werden. Auf Nusspackungen steht künftig: „Kann Spuren von Nüssen enthalten.“

 

5. April: Karl Lauterbach sagt den tags zuvor angekündigten Wegfall der Isolationspflicht wieder ab. Aus dem Homeoffice – also bei Markus Lanz. Der „Spiegel“ nennt den Minister daraufhin „Deutschlands gefährlichste Mutante“.

 

5. April: Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages stellt fest: Wegen Armin Laschets falsch gefaltetem Stimmzettel muss die Bundestagswahl nicht wiederholt werden. Begründung: Der CDU-Chef hatte keinen Einfluss auf die Wahl. Alle außer Laschet hatten das bereits vor der Wahl gewusst.

 

7. April: Die EU weitet ihren Importstopp für eine weitere russische Energiequelle aus und verbietet die Einfuhr von Wodka.

 

11. April: Familienministerin Anne Spiegel tritt zurück. Anteilnahme macht MP.

 

14. April: Die Ukraine versenkt den russischen Raketenkreuzer „Moskwa“ im Schwarzen Meer. Zwei Tage vorher waren in der Ukraine Briefmarken erschienen, auf denen ein ukrainischer Soldat eben diesem Schiff den Stinkefinger zeigt. Russland behauptet, es sei „in stürmischer See“ gesunken. Satelliten messen allerdings Windstärke 4. Als Definition findet sich beim Deutschen Wetterdienst: „Wind bewegt Zweige und dünnere Äste, hebt Staub und loses Papier und versenkt gelegentlich Kriegsschiffe.“

 

19. April: Ein Zugführer gewinnt einen Rechtsstreit gegen die japanische Bahn, die ihm wegen einer Minute Verspätung 56 Yen vom Lohn abgezogen hatte – umgerechnet 40 Cent. Leider ist er kurz vor der Urteilsverkündung gestorben und erlebt den Geldsegen erst im Yen-seits. Die Präzision japanischer Züge ist immer wieder beeindruckend: Eine Minute Verspätung kostet 40 Cent; bei zwei Minuten muss man sich bei allen tausend Fahrgästen im Zug persönlich entschuldigen; bei drei Minuten zusätzlich beim Kaiser; und bei fünf Minuten Verspätung baumelt plötzlich im Cockpit ein Schwert von der Decke. Anschließend kommt die Durchsage: „Meine Damen und Herren, liebe Japaner! Wegen einer Disziplinierungsmaßnahme mit anschließendem Personenschaden hat unser ICE Seppuku heute eine Verspätung von sechs Minuten. Senkju for choosing Japanische Bahn today.“

 

19. April: Xavier Naidoo distanziert sich von seinen Verschwörungstheorien. Leider nicht von seiner Musik.

 

20. April: Wegen eines Sexskandals zerstreitet sich die Spitze der Linkspartei so sehr, dass Susanne Hennig-Wellsow, die eine Hälfte der Doppelspitze, ihren Rücktritt verkündet. Nun sucht also eine sektenhafte Gruppierung, die Armut predigt, einer uralten Ideologie anhängt und einem mitten in Europa absolutistisch regierenden Staatschef huldigt, wegen Sexismus-Vorwürfen einen neuen Vorsitzenden. Kardinal Woelki hätte Zeit!

 

25. April: Baden-Württemberg, das erste neue Bundesland der Weltgeschichte, wird 70 Jahre alt. Zur Gründung des Landes hatte es noch neutral „südwestdeutsches Bundesland“ geheißen, erst drei Wochen später hatte sich der Landtag für den Landesnamen entschieden. Gemäß dem Ego beider Landesteile hätte eigentlich Württemberg vorne stehen müssen, wobei man sich dann im Alphabet ganz hinten wiedergefunden hätte. So aber erhielt man die alphabetische Pole-Position, noch vor Bayern. Wenn alle Landesteile Berücksichtigung gefunden hätten, hätte das Land sogar Baden-Württemberg-Hohenzollern heißen müssen – aber man wollte nicht die Marie-Agnes Strack-Zimmermann der Landkarte werden. Wie bei 70. Geburtstagen üblich, glänzt Landesvater Winfried Kretschmann mit einem Geburtstagsgedicht: „Kaum zu glawe, abber wahr: The Länd wird heute siebzig Jahr!“ (Englische Version: „’s isch wahr, doch schwerlich glawe mir’s: The Länd wird heit scho siebzig years!“ Pünktlich zum Jubiläum ernennt „The Länd“ zudem einen neuen Ehrenbürger: Präsident Theländsky.

 

26. April: Während einer Polizeikontrolle verschanzen sich zwei Reichsbürger in ihrem Auto. Die Polizei schreckt vor einem Völkerrechtsbruch zurück, denn die Delinquenten haben ihr Auto kurzerhand zum Staatsgebiet erklärt. Der Fahrzeugschein dient als Verfassung; eine Einbürgerung ist nur nach Bestehen eines Töftöffel-Tests möglich; und die Souveränität gilt so lange, bis der TÜV abläuft. Eine lupenreine Autokratie.

 


Tilman Lucke ist zu sehen in: "frisch gepresst. Satirischer Monatsrückblick" und in seinen Soloprogrammen  "Verdummungsverbot", "Entweder Und!" und "Lucking zurück".