20.05.2022

No. 211

Durch Fotobombing ins Verteidigungsministerium – Christine Lambrecht im Glück

Scholz-Kabinett im Faktencheck (1)

Der Krieg in der Ukraine wirft drängende Fragen auf: Was sind schwere Waffen? Lässt Olaf Scholz sein Neun-Euro-Ticket verfallen, oder fährt er doch nach Kiew? Behalten Alice Schwarzer und Harald Welzer recht, und Selensky gibt als Klügerer einfach nach? Und was macht unsere Verteidigungsministerin eigentlich beruflich? Die pfiffige Frührentnerin in Teil 1 unseres Schnellchecks.

Autor:  Tilman Lucke

 

Auf jeder Notenkonferenz in der Schule gibt es die eine Schülerin, bei der sich das ganze Kollegium denkt: Die ist nicht aufgefallen, die kriegt ’ne Zwei. Womit zwei Drittel der Lehrer nicht zugeben wollen, dass sie die Schülerin gar nicht kennen. Im Kabinett könnte diese Schülerin Christine Lambrecht sein, die, würde sie gelegentlich ihr Büro betreten, ein Klingelschild mit der Aufschrift „Bundesministerin der Verteidigung“ lesen könnte.

 

Doch leider fiel die Dame in letzter Zeit recht oft auf. Nach einer unscheinbaren Karriere als Postensammlerin im Bundestag stieg sie 2019 zur Justizministerin auf und war 2020 das einzige Kabinettsmitglied, das gegen eine Reform der Organspende stimmte. Dank ihr und 378 anderen Anwärtern auf ein Spenderhirn scheiterte die Widerspruchslösung, die europaweit der Normalfall ist und die Zahl der Organspenden schlagartig erhöht hätte. Damals muss sie auf den Geschmack gekommen sein: Menschen, die auf überlebenswichtige Hilfe warten, im Stich zu lassen, ihnen anschließend noch den Stinkefinger hinzuhalten und ihn „Gewissen“ zu nennen – das will ich bald wieder machen. Dann schicke ich 5000 Helme in die Ukraine!

 

Doch Ende 2020 dämmerte ihr, ihre SPD sei für Karrieren inzwischen wohl eher die falsche Partei, es lohne sich nicht, einen aussichtslosen Wahlkampf zu führen, nur um am Ende auf einer harten Oppositionsbank zu sitzen. Die hohe Kunst sei aber, etwas aus der Regierung heraus zu hintertreiben; als Opposition dagegen zu stimmen, könne ja jeder. Deshalb kündigte sie ihren Ausstieg aus der Politik an.

 

Als die SPD die Wahl dann plötzlich doch gewonnen hatte, war sie für einen kurzen Hauch der Geschichte hellwach und tigerte fortan ruhelos über die Bundestagsflure. Schließlich stolperte sie in ein Gruppenfoto der neu konstituierten SPD-Fraktion: ein hübsches Bild von 206 sympathischen, kompetenten und tatendurstigen Abgeordneten – und Christine Lambrecht. Sie war tatsächlich die einzige Nicht-Abgeordnete auf dem Fraktionsfoto, was niemandem auffiel. Rolf Mützenich war beim Zählen seiner Schäfchen anscheinend eingeschlafen.

 

Man nennt das Fotobombing. Machen Sie das auch mal: Ziehen Sie sich schick an, gehen Sie auf eine Hochzeit von völlig unbekannten Leuten und stellen sich überall dazu. Wenn jemand fragt, sagen Sie: „Ich gehöre zur anderen Familie!“ Und am Ende sind Sie satt. Und Verteidigungsministerin.

 

Wer also bisher der Meinung war, Christine Lambrecht habe sich als Verteidigungsministerin nicht gerade aufgedrängt, der sei korrigiert: Doch, genau das tat sie. Es ist aber beruhigend, dass Deutschland gerade noch gut genug ist für eine, die schon längst weg sein wollte. Das sollte uns bekannt vorkommen: Angela Merkel hat schließlich auch 16 Jahre lang ihren Vorruhestand im Amt genossen.

 

Am 8. Dezember 2021 hieß es schließlich: „So wahr mir Gott helfe.“ Es ehrt den Allmächtigen, dass die Ministerin ihn zwecks Amtshilfe anfragt. Aber so allmächtig, um diese Person in diesem Ressort bei guter Regierungsführung unterstützen zu können, ist der Herr dann auch wieder nicht.

 

War Olaf Scholz der Überzeugung, der Sache der Frauen etwas Gutes zu tun, indem er den weiblichen Andreas Scheuer auf einen seiner wichtigsten Kabinettsposten setzte? So gesehen, wäre die Gleichberechtigung nun endlich erreicht. Sogar übererfüllt! Denn Scheuer hatte 2020 für die Organspende gestimmt.

(Fortsetzung folgt.)

 


Tilman Lucke ist zu sehen in: "frisch gepresst. Satirischer Monatsrückblick" und in seinen Soloprogrammen  "Verdummungsverbot", "Entweder Und!" und "Lucking zurück".