27.06.2022

No. 216

Sprachnachrichten. Oder: Kommunikation aus der Hölle.

Autor: Martin Valenske

 

Heute geht es um ein Phänomen, das wir alle kennen: Zeitfresser. Davon gibt es bekanntlich viele: unnötige Meetings, Staus und Bahnverspätungen. Aber der schlimmste Zeitfresser des 21. Jahrhunderts sind ohne Zweifel Sprachnachrichten. Mein bester Freund schickt mir auch permanent so eine Sprachnachricht. Also was heißt Sprachnachricht, das ist ein Hörbuch. »Die unendliche Geschichte«. Früher habe ich mich immer gefragt, warum gibt es von »Die unendliche (!) Geschichte« eigentlich einen zweiten Teil? Und sogar einen dritten? Aber seit mein Kumpel mich mit Sprachnachrichtenhörbüchern terrorisiert, weiß ich es.

Es ist auch jedes Mal derselbe Ablauf, wenn er so eine Nachricht sendet. Als Erstes erhalte ich eine Info von meinem Handy: »Sie haben nicht genug Speicherplatz.« Also nehme ich mein iPhone mit 512 GB Speicherplatz und lösche. Ich lösche und lösche und lösche, Fotos von der Geburt des Kindes, Hochzeitsfotos, die letzten Bilder meiner damals noch lebenden Oma – alles muss raus. Dann hoffe ich auf eine stabile WLAN-Verbindung – sonst ist das Datenvolumen für den Monat futsch – und schon darf ich mir die Nachricht anhören. Besonders freue ich mich immer über den Anfang: »Hey, ich wollte mich nur mal kurz melden.« Nein! Absolut Nein! »Ich wollte mich nur mal kurz melden«, das ist der Endgegner jeder Tagesplanung. DER TAG IST GELAUFEN! Ich habe mir mittlerweile eine App runtergeladen, mit der kann ich Nachrichten in 8facher Geschwindigkeit abhorchen. Bringt aber auch nichts. Außerdem habe ich in der Mitte schon wieder vergessen, was am Anfang war – ich muss mir also regelmäßig Notizen machen. Und nach einer gefühlten Ewigkeit kommt dann immer die ersehnte Phrase »lange Rede, kurzer Sinn«.

Bei meinem Kumpel ist das stets das Ende vom Warm-up, danach gehts erst richtig los. Der Kolumnist Peter Praschl hat einmal geschrieben, bei Sprachnachrichten wisse man nie, »ob nach acht Minuten Befindlichkeitsgeplapper doch noch etwas kommt, was zu ignorieren möglicherweise nicht ratsam« sei. Das stimmt leider, wobei der Erkenntnisgewinn einer durchschnittlichen Sprachnachricht durchaus begrenzt ist, wie folgendes Beispiel zeigt: »Hallo, ich wollte mich nur mal kurz melden und sagen, dass ich gerade nicht sprechen kann, bin nämlich gerade unterwegs äh, und hier ist so eine Baustelle, äh, das ist so laut hier, warte kurz, ich gehe mal eben weiter, so jetzt ist besser. Äh, öh, Mist, was wollte ich eigentlich sagen? Ach so ja, äh, warte mal, hier ist gerade ein Eichhörnchen, das ist aber total süß, bleib mal kurz dran, das muss ich kurz filmen …. So, da bin ich wieder, ja sorry ich bin heute ein bisschen verpeilt, ich war gestern noch im Kino mit Mark, der war wie immer zu spät und …«.

Das ist der Todesstoß für echte Kommunikation! Ich bekenne daher ganz ehrlich, sollte ich jemals einen Flaschengeist befreien und einen Wunsch frei haben, dann wünsche ich mir nur eines. Ich wünsche mir, dass alle, die ihren Mitmenschen mit ewig langen Sprachnachrichten Lebenszeit klauen, diese Nachrichten fehlerfrei, in Schönschrift und per Hand abschreiben müssen. 

 


 
Martin Valenske ist zu sehen in: "Dauerstussverkauf" (Soloprogramm) und zusammen mit Henning Ruwe in "2022 - das kann heiter werden".