30.04.2019

No. 50

Hohe Tiere und niedere Instinkte – Europawahl total

AfD, DKP, MLPD, ÖDP – die Buchstabensuppe der EU wird am 26. Mai neu gemischt. 41 Parteien lassen zur Europawahl die Majuskeln spielen: Nicht nur große und mittelgroße Parteien treten an, sondern auch die SPD. Es gibt viel zu wählen – kreuzen wir’s an! Aber: Jeder nur ein Kreuz!

Ein kleines Best of der verrückten Kleinparteien

Autor: Tilman Lucke


„In Vielfalt geeint“ – so lautet das EU-Motto, das mal wieder nur zur Hälfte (Vielfalt) stimmt. Zur Europawahl stehen in ganz Europa voraussichtlich etwa so viele Parteien zur Wahl, wie Abgeordnetensitze zu vergeben sind. 41 Parteien treten allein in Deutschland an – so viele wie noch nie zuvor. Gemessen an der Bundestagswahl mit 42 Parteien geht es diesmal geradezu übersichtlich zu. Da die Fünfprozenthürde seit fünf Jahren abgeschafft ist, hat eine Partei schon ab etwa 0,6 Prozent die Chance auf einen Sitz im Europäischen Parlament. Wer (be-)kloppt sich um die 96 deutschen Mandate?

Neben den Sonstigen treten am Wahlsonstag natürlich auch noch die Übrigen, die Weiteren und die Anderen an. Wenn jede Kleinpartei in Jörg Schönenborns Wahldiagramm ihre eigene Säule bekäme, wäre das unübersichtlicher als das Holocaust-Mahnmal. 2014 errangen außer den sieben Bundestagsparteien übrigens sieben Kleinparteien einzelne Mandate. Drei davon gingen allerdings im Lauf der Zeit an wiederum andere Kleinparteien verloren.

Ein Blick in die Bekanntmachung des Bundeswahlleiters offenbart nicht nur ein buntes Buchstabendurcheinander – neben AfD, ÖDP und DKP treten unter anderem an: MLPD, APPD und DBDDHKP. Auch thematisch überschneiden sich viele Parteien: Es gibt neben den Grünen mindestens zwei weitere Umweltparteien (ÖDP und „ÖkoLinX“ – letztere kümmert sich vermutlich auch um die Belange von Legasthenikern), neben der Linkspartei drei Linksaußengruppierungen (MLPD, DKP und die „Sozialistische Gleichheitspartei [Vierte Internationale]“) und auch zwei Sektenparteien („Die Violetten“ und „Menschliche Welt für das Wohl und Glücklichsein aller“), dazu noch die extremen Christen von „Bündnis C“ sowie ein von Erdoğan gesteuerter Haufen mit dem irreführend vernünftigen Namen „Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit“. Wichtigster Punkt im Parteiprogramm: das Wahlrecht für Ziegen.

Am meisten Vielfalt herrscht aber im schlechten Rektum... äh, im rechten Spektrum: Dort kann der geneigte Nazi mindestens sechsmal rechts abbiegen: Mit der AfD konkurrieren die LKR (geführt von Polit-ADHSler Bernd Lucke, der inzwischen auch seine letzten Gefolgsleute verloren hat), der „III. Weg“, „Die Rechte“, die verfassungswidrige NPD sowie die vom Verfassungsschutz beobachtete „Ab jetzt... Demokratie durch Volksabstimmung“. Bei all diesen Rechtsexkrementen bewahrheitet sich einmal mehr die Einschätzung des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski: „Zwischen DVU, NPD und Republikanern unterscheide ich nicht. Das hieße, Scheiße nach dem Geruch zu sortieren.“

Weitere Parteileichen auf dem Wahlzettel sind etwa die Familienpartei, die Partei „Liebe“ oder die Bayernpartei, die bei früheren Europawahlen im Rest Deutschlands plakatierte: „Wollt ihr nicht auch die Bayern loswerden?“ Wer den Bayern also „Bay, bay!“ sagen will, sollte die BP in ihrem Vorhaben einer Loslösung Bayerns unterstützen.

Eine proeuropäische Splitterpartei tritt ebenfalls an, und zwar mit dem spannenden Namen „Volt“. In sieben Staaten steht diese Partei auf dem Wahlzettel. Geplante Wahlslogans wie „Wir sind das Volt!“ oder „Watt Volt ihr da Ohm?“ stießen aber auf Widerstand.

Am kompliziertesten machen es den Wählern aber die Tierschutzparteien. Es gibt nämlich stolze vier davon: 1. die Partei „Mensch Umwelt Tierschutz“, 2. die „Aktion Partei für Tierschutz – das Original (Tierschutz hier!)“, 3. die „Partei für die Tiere Deutschland“ sowie natürlich 4. die „Allianz für Menschenrechte, Tier- und Umweltschutz“. Die Tiere in Deutschland können sich also auf alle Viere stützen. Da denkt sich so mancher Wähler: Ich glaub’, ich steh’ im Wald! So spinnefeind, wie sich die Tiere sind, sind sich natürlich auch deren Parteien. Die „Partei für die Tiere Deutschland“ scheint zumindest dem Namen nach eher eine AfD der Tiere zu sein. Beatrix von Storch gefällt das! Aber welche Partei sich nun um Pflanzenfresser und welche sich um Karnivoren kümmert, ist den Wahlprogrammen nicht zu entnehmen. Und da es nicht nur zwei Sorten von Tieren gibt, sondern noch diverse andere, ist die vierte Partei vermutlich für queere Tiere da. Wow – beziehungsweise: wau! Da der Plenarsaal zur Arche Noah.

Allerdings gibt es bei genauerem Hinsehen noch eine fünfte Partei, die den Tierschutz im Namen trägt, nämlich die „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ von Martin Sonneborn. Die ist natürlich zuständig für die Sa-Tiere.

Damit ist die Fauna allerdings noch lange nicht abgegrast: Die Grauen Panther treten in mindestens zweifacher Ausfertigung an: 1. die „Grauen Panther“, 2. „Die Grauen – für alle Generationen“. Und damit kommen die Grauen noch vernünftig daher, denn zwischenzeitlich gab es ebenfalls vier von ihnen. Übergroßmutter Trude Unruh mischt gemäß ihrem Namen immer noch mit.

Wenn im Mai so viele hohe Tiere ins Europaparlament einziehen, sollte man Brüssel am besten umbenennen in „Konferenz der Tiere“. Und wenn noch ein paar Hundert rechte Splitterparteien dazukommen, wird es ein Planet der Affen.

 


Tilman Lucke ist zu sehen in: "frisch gepresst. Politcomedy-Late-Night", "Zwei Päpste für ein Halleluja" und in seinem Soloprogramm "Verdummungsverbot".