06.05.2019

No. 51

Ein brennendes Thema: Die Kirchen werden immer weniger

Es brennt nicht nur in französischen Kirchen: Eine Schreckensmeldung rüttelte letzte Woche die deutschen Kirchenmitglieder auf – zumindest die, die in den harten Holzbänken noch nicht friedlich eingeschlafen waren: Es gibt immer weniger Christen in Deutschland! Dennoch gehören die Kirchen zusammen mit Bayer und der Deutschen Bank zu den überbewerteten deutschen Großkonzernen.

Autor: Tilman Lucke


„Ich glaube, also spinn’ ich.“ Wir vermeiden jegliches Notre-Dame-Wortspiel zum Thema Religion und Dachschaden. Denn zumindest in der Pariser Kirche kann nun nicht mehr gelogen werden, dass sich die Balken biegen.

Bis 2060 werden die Kirchen jedes zweite Gemeindeglied verloren haben. „Recht so, schnipp, schnapp, Glied ab!“, wird mancher in der aktuellen Missbrauchsdebatte rufen. Doch es ist ernst: Laut einer Prognose sollen die Kirchen 2060 aus 22,7 Millionen Menschen bestehen. Was, so viele noch? Momentan tun die Kirchen doch alles, um noch mehr Leute zu verlieren. Einst hatte die Altersstruktur der Kirchenmitglieder die Form einer Pyramide, aber bald wird die Form eher an eine Urne erinnern.

Doch jahrhundertelang als beliebte Auszeit vom Denken praktiziert, verliert die Religion immer mehr Anhänger. Die beiden großen Kirchen (GroKi) tun es den beiden großen Volksparteien (GroKo) gleich und schrumpfen. Passenderweise werden CDU und SPD von Damen geleitet, die den Katholizismus vor sich her tragen. Im Gegensatz dazu sind die Atheisten die einzige weltanschauliche Gruppe weltweit, die sich nicht durch Zeugung vermehrt, sondern durch Nachdenken. (Anmerkung: Auch der Autor dieses Textes ist Atheist. Aber aus Fantasielosigkeit.)

Die zwei Hauptgründe für die wundersame Christenverminderung sind Kirchenaustritte und „Taufunterlassungen“. Letzteres klingt wie ein Artikel im Strafgesetzbuch: „unterlassene Beweihwässerung“. Praktischerweise wird man als Kind christlicher Eltern automatisch Kirchenmitglied, eine unterlassene Taufe verhindert dies nicht. Auch Atheisten werden in den Kirchen gern geduldet: Laut Umfragen gibt es Gott nur noch zu 47 Prozent. Darin sind auch diejenigen eingerechnet, die an Gott unter seinen Künstlernamen Allah und Jahwe glauben. (Drei Prozent antworten auf die Frage nach der Existenz Gottes wesentlich schlauer mit „Weiß nicht“.) Da trotzdem noch 54 Prozent der Deutschen entweder evangelisch oder katholisch sind, unterläuft den christlichen Menschenfischern wohl recht viel Beifang.

Oberevangele Heinrich Bedford-Strohm kommentierte die düstere Prognose gewohnt salbungsvoll: „In den fünfziger Jahren war es mit sozialen Sanktionen verbunden, wenn jemand aus der Kirche ausgetreten ist. Heute sind die Menschen aus Freiheit Mitglied der Kirche. Deswegen sind die heutigen Zahlen eben auch ehrlicher als die Zahlen von 1950.“ So? Man wird aus Freiheit getauft? Die meisten Christen setzen im Alter von wenigen Monaten Jahren ihr Häkchen hinter das Feld „Ja, ich habe die Bibel gelesen und verstanden“. Ist das Bischof Bedford-Strohms Verständnis des freien Willens? Vereinzelt werden Kinder auch getauft, wenn sie schon semantisch zwischen Ja und Nein unterscheiden können. Aber wer würde mit sieben Jahren nicht ja sagen, wenn die Eltern das wollen?

Eigentlich ein Wunder, dass die evangelische Kirche mit der Konfirmation bis zum Alter von 14 Jahren wartet, ist doch mitten in der Pubertät das Neinsagerisiko besonders groß. Bleibt als einziges Lockmittel das Geld. Wie praktisch, dass das Geld in Religionsfragen immer schon eine große Rolle spielte. Gerade Konservative beharren stets darauf, dass Jugendliche unter 18 Jahren noch nicht wahlmündig, aber sehr wohl religionsmündig sind. Das hängt wohl damit zusammen, dass es sehr wohl progressive Parteien, aber keine progressiven Konfessionen gibt und man die Jugendlichen deshalb gefahrlos wählen lassen kann.

Wenn sich der Abwärtstrend der Kirchen fortsetzt, wird Ökumene im Jahr 2200 bedeuten, dass der letzte Evangele Deutschlands im Hospiz Sankt Käßmann dem einzigen Katholiken mit der Schnabeltasse Messwein einflößt. Und die „Stillen Feiertage“ wie Karfreitag machen ihrem Namen alle Ehre, weil sie wirklich keiner mehr feiert. Der Letzte macht die Kerze aus.

Doch fürchtet euch nicht: Solange auch nur ein Mensch an Gott glaubt, gilt weiter der Satz von Charles Baudelaire: „Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, nicht selbst zu existieren braucht.“

 


Tilman Lucke ist zu sehen in: "frisch gepresst. Politcomedy-Late-Night", "Zwei Päpste für ein Halleluja" und in seinem Soloprogramm "Verdummungsverbot".