10.02.2020

No. 91

Bei der AfD wird das Popcorn knapp

„Ungut an der Unstrut“ im Thüringer Staatstheater

Dreißig Jahre nach der Wende kann man die Wenden gar nicht zählen, die sich derzeit im Thüringer Staatstheater vollziehen: Vor ausverkauften ZuschauerInnen läuft der Film „Ungut an der Unstrut“. Wie immer sind auch prominente SynchronsprecherInnen dabei, das Filmplakat verrät: „Mit den Stimmen der AfD“.

Autor: Tilman Lucke

 

 

Der Film „Ungut an der Unstrut“ bedient einen nie dagewesenen Genremix: Krimi, Action, Tragikomödie, Fantasy, Slapstick und natürlich Horror. Vom ursprünglich konzipierten Rotmovie ist nicht viel übrig. ZuschauerInnen wähnen sich rasch im falschen Film und verlieren den Überblick: Wer hat welche Meinung zu Regierungsbeteiligung oder Neuwahlen, und gegen wessen Meinung wird er sie morgen eintauschen? Wer twittert wem einen Glückwunsch und löscht ihn wann wieder? Eine Seifenoper mit derart vielen Handlungssträngen und einer solchen Schwemme an Comic-Relief-Figuren würde wegen Unglaubwürdigkeit sofort abgesetzt werden. Die AfD jedoch fühlt sich bestens unterhalten!

Bundesweit werden immer mehr BürgermeisterInnen vom rechten Mob eingeschüchtert und bedroht. Der AfD-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, der Dorfbürgermeister Christoph Kindervater, wirkte dem entgegen, indem er sich selbst dem rechten Mob anschloss. Im ersten und zweiten Wahlgang im Landtag erhielten er und Amtsinhaber Bodo Ramelow keine absolute Mehrheit, und so entschloss sich FDP-Chef Kemmerich nach reiflicher Überlegung, dass Thüringen in diesem Moment nichts dringender brauche als einen weiteren Gegenkandidaten. Dass er gewinnen könnte, nahm er gewiss nicht an – anders als die Wahl selbst.

Thomas Kemmerich hieß in Sachsen noch bis zum 5. Februar 2020: „Thomas? Kenn’ mer nich!“ Der Ministerpräsident hat zwar für einen Friseur, seinen ursprünglichen Beruf, die falsche Haartracht, aber einen durchaus passenden Namen: Kämmerich. In sein Kabinett will er demnächst noch die Herren Wäscherich, Legerich und Schneiderich aufnehmen. Und falls die AfD irgendwann doch noch ins Kabinett eintritt, dann mit den Herren Gas, Wasser, Scheiße.

Einen Tag nach seiner versehentlichen Wahl am Mittwoch kündigte Kemmerich bereits am Donnerstag seinen Rücktritt an, verbunden mit dem Wunsch nach Neuwahlen. Falls er die Zweidrittelmehrheit dafür nicht erreiche, wolle er die Vertrauensfrage stellen und so Neuwahlen provozieren. Am Freitag wiederum verkündete er, nicht sofort zurücktreten zu wollen, was er genau einen Tag später tat. Problem: Ein Ministerpräsident, der nur noch geschäftsführend amtiert, kann weder MinisterInnen ernennen noch die Vertrauensfrage stellen. Diese ist laut Grundgesetz nun nur noch über die Bundeskanzlerin möglich: Spricht sie einem Amtsinhaber das „vollste Vertrauen“ aus, gilt dieser automatisch als entsorgt. Die Bundeskanzlerin weilte jedoch letzte Woche in Afrika und sah sich dort einen Kontinent voller funktionierender Regierungen an.

AKK reiste am Tag nach der Wahl Kemmerichs entschlossen nach Erfurt mit dem festen Plan, die dortige CDU-Fraktion von Neuwahlen zu überzeugen. Weit nach Mitternacht kam die talentierte Tranquilizerin schließlich aus der Fraktionssitzung geschlafwandelt und verkündete, Neuwahlen seien keine Option. Zwei Tage darauf schrieb sie in die Presseerklärung des Berliner Koalitionsausschusses, die Berliner Regierung fordere dringend Neuwahlen. Übt AKK schon für ihre Nummer beim diesjährigen Püttlinger Karneval? „Putzfrau Gretel macht kehrt“? Den Gang der Ereignisse konnte die CDU-Chefin damit jedenfalls deutlich verlangsamen. Schon Angela Merkel, eine wahre „Witwe Volte“, hatte die Methode der Beruhigung durch Meinungsumschwung meisterhaft beherrscht, und so blieb ihre gesamte Regierungszeit stets zugleich spannend und langweilig. 2018 gelang es der CDU dann mit der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer, erstmals einen Menschen zu klonen und dabei noch die Hälfte des Charismas wegzulassen. Vielleicht sollte sie nach ihrem Rücktritt beim Katastrophenschutz anfangen – jeder Vulkan würde sich nach einem Gespräch mit ihr direkt wieder schlafen legen. Selbst Sturm Sabine ginge von so viel passionierter Passivität schnell die Puste aus, und das Tiefdruck- wäre ruckzuck ein Tiefschlafgebiet.

Der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring (mit diesem Namen gehört man natrülicherweise zu den Schwarzen!) erweist sich ebenfalls als personifizierte Snooze-Taste und tritt mit sofortiger Wirkung in drei Monaten vielleicht zurück – von maximal einem seiner zwei Ämter.

Wenn der Bundesrat am Freitag tagt, wird Ministerpräsident Kemmerich wegen der alphabetischen roten Laterne des Landes im Plenarrund ausnahmsweise ganz links außen sitzen. Und zwar alleine, wie ein Schuljunge, den der Bundesratspräsident zur Strafe in die Ecke gesetzt hat. Seine vier Stimmen im Bundesrat – sogar noch eine weniger als seine Fraktion in Erfurt – gehören alle ihm, weil er keinen einzigen Minister hat. Kemmi allein zu Haus.

Die neueste Idee von Insolvenzspezialist Christian Lindner, die Krise in Thüringen würdig fortzusetzen: Für die Übergangszeit soll eine überparteiliche Persönlichkeit, die nichts mit Politik zu tun hat, das Ruder übernehmen. Wir wüssten da eine geeignete Kandidatin. Wohnort: Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin, Bundeskanzleramt, 8. Stock links.

Wie auch immer die beispiellose Fail-Compilation namens Thüringen weitergeht – drei Dinge stehen fest:

1. AKK wird nicht Kanzlerin. (Hat aber mit Thüringen absolut nichts zu tun.)

2. Bei der AfD-Fraktion, die den Plenarsaal zum Kinosaal umfunktioniert hat, wird bald das Popcorn knapp.

3. Der Oscar für die kleinste Nebenrolle geht an Würde, Anstand und Vernunft.

 

 


Tilman Lucke ist zu sehen in: "frisch gepresst. Politcomedy-Late-Night" und in seinen Soloprogrammen  "Verdummungsverbot" und "Lucking zurück".