Boris Leibold

"Die Zeit ist eine Vase. Es kommt darauf an, ob man Disteln oder Rosen hineinstellt."
Ein schlaues Zitat gleich zu Beginn hübscht eine Kurzbiografie doch mega auf, oder?

Blöderweise habe ich obigen Ausspruch von Rudolf Rolfs nie begriffen. Mir waren immer schon stachlige Disteln, die so herrlich wilde Blüten treiben, lieber als dornige Rosen mit Insta-tauglich gezüchteten Hipsterblüten.
So verließ ich in jungen Jahren zügig seine Wirkungsstätte (Hessen, zufällig mein Heimatbundesland) und kam über Umwege wie Mannheim (Musikstudium, war mir irgendwann zu quadratisch, praktisch, pfälzisch dort) oder Schwerin (tolles Theater) zunächst nach Hamburg (nich lang schnacken, Kopp in'n Nacken!). Um Menschen mit meiner Theatermusik, meinen Musikkabarett- und Liederabenden also ... zu beglücken, bereiste ich von dort aus viele faszinierende Städte, bis ich endlich im kargen Berlin landete - und blieb.

Meine Eltern hatten mich damals gewarnt. Berlinisch sei mit Dialekt getarnte Unverschämtheit. Als späte Antwort darauf drei willkürlich ausgewählte Fremdzitate aus meinen ersten Wochen hier:

- "Ick greif' da ma rin."
(Baumarktmitarbeiterin packt mir den gerade gekauften Toilettensitz ein)
- "Jetze klatsch'n wa ma alle fröhlich in die Hände"
(Einkauf bei der Blumenhändlerin, der ich zwei Blumentöpfe entgegenhalte)
- „Seit sie hier eingezogen sind, seh' ick sie so oft. Sind se arbeitslos, Herr Leibold? Na, denn uff jute Zusammenarbeit!"
(die zugewandte frühverrentete Dame aus Etage vier)

Auch heute habe ich noch keine Ahnung, was der famose Frankfurter Kabarettgründer sich beim Distel-Rosen-Vergleich dachte. Doch ich mag mein stachliges Berlin. Und freue mich, dass ich immer wieder Gast an der Distel sein darf. Möge sie weiter wilde Blüten treiben.

 

Boris Leibold ist Gast im DISTEL-Ensemble.
Sein DISTEL-Debüt gab er 2015 in der Studio-Produktion "Der Zweck heiligt den Abend".