Erich Brehm – DISTEL-Gründer und erster Direktor

Presseinformation zu seinem 100. Geburtstag am 12. September 2010

Erich Brehm kann durchaus als Vater des DDR-Kabaretts bezeichnet werden.

An der von ihm 1953 gegründeten DISTEL orientierten sich zahlreiche Berufs- und Amateurkabaretts. Seine Texte waren beispielgebend für das Kabarett der DDR mit all seinen Einschränkungen. Seiner Arbeit als Direktor verdanken zahlreiche Autoren und Schauspieler ihre künstlerische Prägung. Seine Freundlichkeit und Geduld im Umgang mit seinen Mitarbeitern, seine Beharrlichkeit und Korrektheit in der Diskussion anderer Meinungen, seine Geradlinigkeit im Umgang mit politischen Idealen und eben auch mit der Satire in der DDR zeichnen ihn noch heute, im Rückblick auf die nicht mehr vorhandene DDR, besonders aus.

Erich Brehm gab, so Lothar Kusche in einem Nachruf 1966, „insofern eine interessante Figur ab, als er niemals so auftrat, wie man sich einen Theaterdirektor vorstellt, sondern immer so, wie man sich einen Theaterdirektor wünscht."

Sein Leben als Kabarettist, Autor und Theaterdirektor

„Ruck-Zuck" hieß eine Kabarettrevue, die im Frühjahr 1928 in der Aula der Karl-Marx-Schule in Berlin-Neukölln zur Aufführung gelangte. Autor, Regisseur und Darsteller war der Aufbauschüler Erich Brehm. Dem Berliner Arbeitersohn wurde ein beachtliches kabarettistisches Talent bescheinigt und dennoch konzentrierte er sich in den Folgejahren auf seine zweite Begabung, die Mathematik. Er studierte Mathematik und Physik und arbeitete anschließend als Lehrer in Neukölln. Kabarettistisch war er nur im engsten Freundeskreis tätig. Mit kleinen Parodien auf Schlager und amerikanische Folksongs hielt er während der Nazizeit sein satirisches Talent am köcheln und machte sich und seinen Freunden ein wenig Mut zum geistigen Überleben.

Im Sommer 1945 wurde sie wieder öffentlich, die Kabarettlust des Erich Brehm: Er beteiligte sich am „KiKi" in der Berliner Kindl-Brauerei, einem der ersten Berliner Nachkriegskabaretts. Doch bald wurde der politisch engagierte Lehrer vom Berliner Stadtschulrat Ernst Wildangel in das Hauptschulamt berufen und aktiv in den Aufbau des Berliner Schulwesens eingebunden.

Brehms Jugendfreund, der Schriftsteller E.R. Greulich war es, der den mittlerweile zum stellvertretenden Stadtschulrat beförderten Lehrer erneut für das Kabarett gewinnen konnte. Zusammen mit Horst Heitzenröther schrieben sie im Frühsommer 1948 die Texte für das Kabarett „Frischer Wind". Nach dem durch die Währungsreform bedingten Aus für dieses Kabarett war Brehm als Autor für das 1949 gegründete Betriebs- bzw. Reisekabarett „Kleine Bühne" tätig, dessen Leitung er nach seinem Ausscheiden aus dem Stadtschulamt Ende 1951 übernahm. Damit hatte er sich endgültig für das Kabarett entschieden.

Klares Ziel von Erich Brehm war es nun, in Ost-Berlin ein politisches Kabarett mit fester Spielstätte zu installieren. Das in der Bevölkerung zunehmende Bedürfnis nach Humor und Unterhaltung nutzend gelang es ihm, mit Hilfe der Presse („Kleine Bühne – ohne Bühne" – titelt im Februar 1953 die Tägliche Rundschau) und dank eines künstlerisch überzeugenden Ensembles das Hauptamt Kunst beim Berliner Magistrat zu bewegen, die ‚nötigen Geldmittel für den Humor einzuplanen'.

Im Frühjahr 1953 begannen die Vorbereitungen für das neue, vom Magistrat finanzierte städtische Kabarett. Die Ereignisse des 17. Juni unterbrachen zunächst die Arbeiten, beschleunigten sie dann jedoch wieder. Am 1. Juli 1953 wurde Erich Brehm als Kabarettdirektor eingesetzt und per Vertrag verpflichtet „die Mittel der Satire im Kampf um die Einheit Deutschlands und einen dauernden Frieden wirksam werden zu lassen." Am 25. September beschloss der Magistrats offiziell die Gründung des Berliner Kabaretts „Die Distel". Und ausgestattet mit einem außerplanmäßigen Betrag von 20.000,-- DM sowie dem Titel „Hurra! Humor ist eingeplant!" startete am 2. Oktober das erste staatliche Kabarett der DDR. Froh und hoffnungsvoll textete der neue Direktor: „Die Distel blüht zum Spaße/ im Zentrum von Berlin!/Am Bahnhof Friedrichstraße,/ da sprießt sie keß und kühn!/ Als echt Berliner Pflanze/ möcht' sie noch schöner blühn,/ und sie jeht dabei aufs Janze,/ ja die Distel jeht aufs Janze,/ aufs janze – Berlin!"

Erich Brehm schwor auf das Ensemblekabarett. Dazu gehören neben Darstellern vor allem Autoren, Komponisten, ein Regisseur und ein für alles verantwortlicher Leiter. Und dieser Leiter war Erich Brehm durch und durch. „Er war immer der Lehrer. Er sah immer aus, wie ein Lehrer. Er stand immer so da, wie vor seiner Schulklasse", so Hans Krause, Schauspieler im ersten Ensemble und später selbst Direktor der DISTEL.

Dennoch spielte sich Brehm nicht in den Vordergrund. Als Pädagoge verstand er es, Begabungen zu entdecken und zu fördern. Hansgeorg Stengel, Lothar Kusche, Jo Schulz gehörten zu seinen ersten Autoren wie auch der kürzlich verstorbene Hans Rascher, der als ‚Meisterschüler' seinen Meister später sogar übertraf.

Brehm hatte stets phantasievolle Einfälle, war überaus pedantisch und dachte streng logisch – er war ein durch die Regeln der Mathematik geprägter Satiriker. Gleichzeitig musste bei ihm jede Nummer eines Kabarettprogramms einen Inhalt haben und einen Zweck erfüllen wollen. Die Texte, die eigenen wie die seiner Autoren, mussten bei ihm stimmen, inhaltlich wie formal. Geduldig hörte er sich die Textentwürfe an, schwieg eine Weile, um dann zu fragen: „Findste det wirklich jut?"

Auch von seinen Schauspielern verlangte der Direktor Höchstleistungen. So profilierten sich unter seiner Regie Gina Presgott, Ingrid Ohlenschläger, Ellen Tiedtke, Werner Lierck, Gustav Müller, Gerd E. Schäfer ebenso zu Vollblutkabarettisten wie der Hafenarbeiter Heinz Draehn, den Brehm als ‚proletarischen Typ' 1954 in sein Ensemble holte. Ständig war er auf der Suche nach neuen Talenten. So entdeckte er bei der „Leipziger Pfeffermühle" den vielseitig begabten Conny Reinhold, im „Dresdner Herkuleskeulchen" den Urkomödianten Otto Stark und nahm sie unter Vertrag. Der eine blieb nur sehr kurz, der andere umso länger.

Erich Brehm versuchte nie, sich anzupassen. Als überzeugter Sozialist und politischer Kabarettist waren ihm Sozialismus und Satire gleichermaßen heilig. Die gerade Mitte der fünfziger Jahre in der DDR intensiv geführte Diskussion zur ‚positiven Satire' kommentierte er so: „Vielleicht sollte man es so sagen: Die Satiriker sind positiv dagegen, dass die Schilderung des Negativen keine positiven Folgen haben können soll."

Aber auch der gewiefte Taktiker und der um logische Argumente nie verlegene Genosse Erich Brehm musste bei seiner Auffassung von Satire und politischen Kabarett in der DDR scheitern. Wiederholt hatte es parteipolitische Kritik an den Programmen der DISTEL gegeben. Mit viel Geschick, Geduld und Überzeugungskraft hatte er sein Kabarett in den ersten Jahren immer wieder über die Runden gerettet, das Ensemble dabei politisch wie künstlerisch profiliert, bei sich selbst aber viel Frust aufgebaut, gehörte er doch zu den Menschen, die nur schwer, und wenn überhaupt, dann mit logischen Argumenten zu überzeugen waren.

Im Januar 1958 hatte Kabarettdirektor Brehm es endgültig satt, mit dogmatischen Funktionären zu diskutieren. Er kündigte seinen Vertrag. Diesmal war es ihm ernst damit. Anlass waren die Auseinandersetzungen um das für Februar geplante neue Programm. Die Textvorlagen hatten beim seit einem Jahr im Voraus prüfenden Magistrat heftigste Kritik hervorgerufen. Im Rahmen der durch Nikita Chruschtschow 1956 eingeleiteten ‚Tauwetterperiode' waren die DISTEL-Autoren von Programm zu Programm frecher geworden. An manchen Tabus wurde – sehr zur Freude des Publikums – mutig gekratzt. Walter Ulbricht aber hatte nach entsprechenden Parteisäuberungen und einer großen Kulturkonferenz die ‚Tauwetterperiode' Ende 1957 in der DDR für beendet erklärt. Das jedoch wollte Erich Brehm nicht wahrhaben. Die Texte des neuen DISTEL-Programms enthielten eine Fülle von scharfen politischen Anspielungen auf die Politik von Ulbricht, obendrein noch von Brehm geziert durch den bisher besten Programmtitel „Beim Barte des Proleten". Der alte Direktor ging von selbst. Der neue Direktor wurde bestellt. Das stark überarbeitete Programm hieß jetzt: „Liebe und Raketenbasen".

In den Folgejahren hielt Erich Brehm der DISTEL eine distanzierte Treue. Er schrieb einige Texte und führte gelegentlich Regie. Als einzelne Mitglieder der Distel im Herbst 1961den Nationalpreis erhielten, gehörte auch Erich Brehm zu den Ausgezeichneten. Ein wichtiger Trost für ihn, denn gerade in dieser Zeit hatte er, einer angeborenen Krankheit wegen, mehrere schwere Operationen zu überstehen.

Anfang der sechziger Jahre schrieb er neben einigen satirischen Kurzfilmen (DEFA-Stacheltier) ein amüsantes, lehrreiches und auch heute noch zu empfehlendes Büchlein über Satire und Kabarett („Die erfrischende Trompete") sowie zusammen mit Elisabeth Shaw ein Kinderbuch („Die fleißige Familie").

1965 führt er trotz schwerer Krankheit noch mehrmals Regie in der DISTEL. Im Juni 1966 haben seine letzten Texte dort Premiere. Am 15. November 1966 verstirbt Erich Brehm im Alter von nur sechsundfünfzig Jahren.

Auf Anfrage der DISTEL verfasst von Jürgen Klammer,

Freier Mitarbeiter beim Deutschen Kabarettarchiv