Im April 2016 war Gregor Gysi wieder zum Kultur- und Polittalk in der DISTEL zu Gast - dieses Mal mit seinem Gast Florian Schroeder. Wir haben ihn in der Pause kurz getroffen:
Herr Gysi, Sie waren bestimmt schon des Öfteren im Kabarett-Theater DISTEL?
Zu DDR-Zeiten war ich ziemlich häufig in der DISTEL, nach der Wende etwas seltener, jedoch immer mal wieder.
Wenn Kabarett zu DDR-Zeiten als Ventil fungierte, ist es heutzutage dann eher Alibi?
Ich denke, dass solche knappen Beurteilungen nie ganz stimmen können, wenn sie auch immer etwas Wahres aussagen. Es stimmt, dass das Kabarett zu DDR-Zeiten ein Ventil darstellte, daher war es damals auch wahnsinnig beliebt und gut besucht. Schließlich hat man sich immer gefragt, wie weit sie gehen und was sie sich trauen. Der Direktor der DISTEL erzählte mir einmal etwas sehr Spannendes, und zwar: „Weißt du Gregor, wir wussten immer, dass es eine Zensur gibt, und wenn wir beim Magistrat, Abteilung Kultur, vorspielen mussten, haben wir uns immer drei überspitzte Szenen überlegt, von denen wir wussten, dass sie gestrichen wurden. So konnten wir die anderen Szenen behalten. Das Merkwürdige war jedoch, dass genau diese Szenen teilweise blieben, und andere gestrichen wurden.“
Etwas ganz Wichtiges ist aber: Mit der Zensur lässt sich streiten. Heutzutage gibt es etwas Schlimmeres, und zwar, dass man einfach kein Geld bekommt. Da kannst du nicht diskutieren, Du verdienst einfach nichts. Zum anderen war das Kabarett natürlich viel größer als nach dem Umbruch. Das hat sich inzwischen jedoch wieder geändert, weil das Kabarett ja auf seine humorvolle, bissige und sarkastische Art und Weise die Realitäten in einer Gesellschaft widerspiegelt. Kabarettisten und Kabarettistinnen können sich viel mehr erlauben als andere, das ist das Schöne am Kabarett. Bis auf Herrn Böhmermann, der hat jetzt ein Ermittlungsverfahren am Hals, das ist aber völlig neu und wir werden mal sehen, wie das Ganze ausgeht.
Wenn wir uns unserer Kabarettarbeit stellen, dann befinden wir uns im Spektrum zwischen einer breiten medialen Welt, die die Realsatire in der Politik gern in den Fokus nimmt, einem ironischen und sarkastischen Journalismus, einer TV-populären Comedy und einer Welt mit ziemlich komplexen und fast unüberschaubaren politischen und gesellschaftlichen Problemen: Das alles finden wir - die DISTEL - vor, um Kabarett zu machen. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach heutzutage Kabarett?
Meiner Meinung nach gibt es heutzutage gute Comedy und es gibt furchtbare Comedy. Letztere ist teilweise so billig und abgeschmackt, dass ich hoffe, dass sich das Kabarett davon abhebt. Dieter Hildebrandt hat hier ja beispielsweise Maßstäbe gesetzt. Kabarett ist eben, wenn man so will, das politischste Theater, und zwar auf eine ganz besondere und einzigartige Weise. Es muss sich immer unterscheiden von Comedy und anderen Dingen, die eine ganz andere Herangehensweise haben. Kabarettisten müssen gute, kluge, schlaue Texte haben, sie müssen auch selbst klug und schlau sein, um die Texte entsprechend vortragen zu können. Kabarett muss immer einen Nerv für die Zeitgeschichte haben und wissen, was die Bevölkerung anspricht und wo sie aufgerüttelt werden muss. Ich freue mich, wenn ich das Kabarett mit einem Erkenntnisgewinn verlasse und merke, was ich anders sehen und worüber ich nachdenken muss. Wenn nur das bestätigt wird, was ich schon gedacht habe, ist mir das ehrlich gesagt zu wenig. Ich glaube, dass die DISTEL das kann.
Ich habe mal unsere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD gesehen, als Richling sie nachmachte. Da tat sie mir leid, es blieb nichts von ihr übrig, und sie saß da, die Kamera ständig auf sie gerichtet, und 'du' musst immer lachen. Das ist hart, aber ich habe schon immer gesagt, dass man da ansonsten nicht hingehen darf. Die Politiker sind immer zweimal beleidigt: Einmal, wenn sie im Kabarett nicht vorkommen, und das zweite mal, wenn sie vorkommen.
Da muss ich Göring-Eckardt, Hofreiter, Oppermann, Kauder, Wagenknecht, Bartsch zu Ihnen ins Kabarett schicken, damit Sie ihre Botschaft mal loswerden. Aber ob die Leute sich das dann immer noch anschauen würden, weiß ich nicht.
Manche Politiker sind ja zu Besuch in der Heute Show!
Ich war da. Das ist auch interessant: Ich hatte im ZDF schon zugegeben, dass ich Angst hatte. Dadurch war Oliver Welke natürlich nicht ganz so bösartig zu mir. War schon mal nicht doof! Leider haben sie zwei Sachen geschnitten, weil wir zu lang waren. Als ich erzählte, das ich Rinderzüchter gelernt hatte, haben sie leider rausgeschnitten, dass ich dann sagte, dass das ja ein wichtiger Beruf war, weil ich damals auf die Politik vorbereitet wurde: Ich kann melken – also Steuern eintreiben – und außerdem mit Hornochsen umgehen, was eine zwingende Voraussetzung ist. Da haben die Leute getobt. Und das zweite, was sie rausgeschnitten haben war, dass ich gesagt habe, ob ihm schon mal aufgefallen ist, dass noch nie eine gefälschte Doktorarbeit aus der DDR bekannt wurde. Noch nicht eine. Aber ich muss sagen, auch interessant, was dann übrig blieb.
Aber ich verstehe Politiker, die nicht gern zu Satire-Shows gehen. Sie sind ja nun mal keine Kabarettisten und können dann auf Satire nicht reagieren. Das ist auch meine Hemmung. Es heißt ja, ich könne das, aber ehrlich gesagt, ich bin auch ängstlich. Aber wenn die Show begonnen hat, geht es dann doch.
Wir haben hier im Kabarett immer mal wieder Szenen, die im Bundestag spielen. Was läuft jenseits der Kameras tatsächlich ab? Beschimpft man sich bei den Debatten und isst anschließend Schnitzel zusammen?
Unterschiedlich. Aber ich bin da ein bisschen eine Sonderfigur. Also bei mir war es so – 90, 91, 92, 93 konnten sie mich drinnen und auch draußen nicht ausstehen. Gar kein Unterschied. Oder sie waren sachlich zu mir - in und außerhalb des Bundestags. Die Gruppe, die ich gar nicht mochte, hat mich drinnen beschimpft und draußen versuchten sie, freundlich zu mir zu sein. Das gibt es natürlich, was Sie beschreiben. Aber nicht so überzogen. Ich kann mich erinnern, ich war mal in einem Untersuchungsausschuss, da waren ein SPD- und ein Unions-Abgeordneter, die sich bald prügelten. Wirklich! Wir saßen alle da, die Münder klappten uns rauf und runter. Die brüllten! Ich weiß gar nicht mehr, worum es ging. Und da habe ich mich in den deutschen Beamten verliebt. Denn mitten in der Brüllerei sagte ein Beamter plötzlich von hinten ganz locker zu mir: „Herr Dr. Gysi, das ist die Bundestagsdrucksache 25 430“. Der hatte scheinbar gar nichts damit zu tun! Das ist Real-Satire. Und da habe ich mir überlegt, wie der abends zu Hause beim Abendbrot zu seiner Frau sagt: „Jetzt muss ich dir aber mal was erzählen, was da heute los war ...“.
Sie waren Rinderzüchter, dann haben Sie Jura studiert und sind nun lange in der Politik. Wenn Sie noch mal anfangen könnten, welchen anderen Weg wären Sie gegangen?
Also ganz klar: Ich würde dann gern Facharzt für Neurologie und Psychiatrie werden. Das finde ich spannend.
Würden Sie für uns Kabaretttexte schreiben?
Nein, kann ich auch nicht. Ich mache nichts, was ich nicht kann. Wissen Sie, mir fällt natürlich auch mal gelegentlich eine Pointe ein, aber ich weiß ja, wie solche Texte erarbeitet werden. Peter Ensikat zum Beispiel, wie der das gemacht hat, das kann ich nicht. Man soll nie etwas versuchen, was man nicht kann.
Aber ganz im Ernst, wenn Sie sich einmal für einen hübschen kleinen Monolog oder einen real-satirischen Bericht berufen fühlen ...
Dann schreib ich Ihnen einen Text. Vielleicht fällt mir mal was ein...
Erfreulicherweise haben Sie zugesagt, zur Premiere von „Wohin mit Mutti?“ zu kommen ...
... Ja, ich weiß auch nicht, wohin mit ihr. Ich würde das gerne erfahren.
Was glauben Sie, erwartet Sie?
Weiß ich nicht. Ich freue mich aufs Kabarett. Und der Titel hatte mir schon gefallen. Ein bisschen schade ist, dass jemand, den ich seit so vielen Jahrzehnten kenne, Edgar Harter, nicht auf der Bühne steht. Aber vielleicht habe ich Zeit bei seiner nächsten Premiere. Außerdem freue ich mich einfach, mal Freitagabend etwas anderes zu machen, als über Steuern und so etwas zu quatschen. Wissen Sie, ich kann auch sehr ernste Gespräche führen, aber ich brauche, um meine Substanz zu erhalten, auch mal das Gegenteil davon. Und wenn ich mich dabei amüsiere ist das gut. Und wenn ich im Stück nicht vorkomme, halte ich es aus, und wenn ich vorkomme, halte ich es auch aus. Wenn es ganz bösartig ist, muss ich es auch aushalten.
© DISTEL