Thomas Lienenlüke - im Interview
Autor von WELTRETTEN FÜR ANFÄNGER
Warum der Blick in die Zukunft? Ist das nicht zu sehr in die Glaskugel-Schauen?
Also zum einen schaue ich ganz gern in Glaskugeln, und zum anderen ist ja alles, was den Realismus verlässt, in irgendeiner Art und Weise auch ein bisschen Hokuspokus. Aber ich finde es legitim, über eine Utopie oder auch eine Distopie zu erzählen, wie sich Zukunft gestalten könnte. Und der "brave new world", die uns unsere Freunde von Amazon bis Facebook so smart unterjubeln, ein kleines Stück Misstrauen entgegenzusetzen.
Ist es eine Utopie oder eine Distopie, was das Publikum zu sehen bekommt?
Es ist eine Distopie - ich glaube, dass viele Zukunftsversprechen, die uns momentan gemacht werden, in ihrer Realisation weitaus kälter und unempathischer sind, als wir uns das ausmalen - im Zweifelsfall setze ich mich immer noch lieber mit einem Arschloch aus Fleisch und Blut als mit einem herzensfernen Algorithmus auseinander.
Hast Du Vorbilder oder favorisierte Zukunfts-Dramen in Film, Theater oder Literatur?
Der größte Einfluss auf das Stück war "The Circle" von Dave Eggers.
Eine - leider literarisch unterirdische - aber unglaublich kluge und konsequente Parabel, die im Titel auf die neue Konzernzentrale von Apple anspielt ...
Ansonsten hat mich "Utopia" von Morus schon immer sehr fasziniert - und ich habe lange überlegt, was mich mehr reizt: Ein positiver Lehransatz - das wäre dann eher auf der Grundlage von Zukunftsforschern wie Steven Pinker entstanden - oder die Tragik des Scheiterns an der Optimierung von allem und jedem ...
Machst Du dir Sorgen um die Welt - und in wen oder was hast Du Vertrauen, dass so eine gute Zukunft möglich wird?
Ich halte es mit Antonio Gramsci und seinem Diktum vom Pessimismus des Intellekts und dem Optimismus der Tat.
Auch in „Weltretten für Anfänger“ wählst Du wieder Protagonisten, die sehr knapp bei Kasse sind und sich nur mit mehreren Jobs über Wasser halten können – wie schon in „Zwei Zimmer, Küche: Staat!“ und „2019: Odyssee im Hohlraum“ - warum diese Helden?
Naja, in "Weltretten" besitzt einer zumindest eine Eigentumswohnung in Berlin Mitte, die Heldin ist verbeamtet, nur ihr Mann gurkt ein bisschen unglücklich 'rum. Im Gegensatz zu "Zwei Zimmer, ..." ist das eigentlich schon fast Mittelschicht. Ich schreib mich also ganz langsam in den Hochadel rein - wenn ich 2030 ein Distelprogramm schreibe, spielt es vermutlich in Cornwall unter Herzogen und Pferdewirten :-)
Wie eng ist Deine Zusammenarbeit mit dem Regisseur und dem Bühnenbildner? Hast Du klare Vorgaben für die Regie und für das Aussehen der Bühne und der Kostüme?
Mit Dominik, dem Regisseur, ist zu meiner großen Freude durch unsere intensiven Zusammenarbeiten eine Freundschaft entstanden, die uns sehr vertrauensvoll miteinander arbeiten lässt. Wir sprechen über das Stück, und dann ist es sein Handwerksmaterial. Wenn's Änderungen gibt, oder - noch viel schlimmer - Striche, dann vertraue ich ihm da sehr. Und wenns dann doch mal 'ne Szene gibt, die ich unbedingt so behalten will, dann hab ich notfalls immer noch ein paar ostwestfälische Gene in mir, die das dann stur durchschmollen ... Beim Bühnenbild stelle ich klar, was es "können muss", also was es abstrakt oder realistisch abzubilden hat, und wie viele Auf- und Abgänge ich gern hätte. Und dann kommt schon 'was Gutes dabei raus.
Seit wann hast Du die Idee von „Weltretten" im Kopf, wann hast Du zu Schreiben begonnen? Und wie oft hast Du geändert …?
Ich hab die Idee seit der Lektüre von "The Circle" im Kopf, das Expose entstand vor ungefähr 7 Monaten. Und seitdem bastel und schraube ich - und es ist sehr viel von mir umgeschmissen worden, immer im Abwägungsprozess, wie viel knackige Unterhaltung soll auf wie viel dunkle Wirklichkeit treffen. Und dann, wenn's fertig ist, und man es bei der Leseprobe zum ersten Mal hört, baut man halt nochmal um ... Das ist ja das schöne am Kabarett, dass alles bis fast vor der Premiere noch zur Disposition steht.
Wann weißt Du, dass eine Figur oder ein Theaterdialog (Monolog) witzig oder satirisch ist?
Ob er satirisch ist, weiß ich, wenn ich ihn betrachte. Ich kann schon analytisch profund begründen, ob und warum ein Text satirisches Potential und Relevanz hat. Ob er witzig ist, weiß ich erst, wenn das Publikum reagiert. Und das ist oft von Abend zu Abend so unterschiedlich ... da braucht man manchmal sehr gute Nerven und Freunde.
Die DISTEL freut sich, erneut Thomas Lienenlüke als Hauptautor für das neue Programm verpflichten zu können. Sein DISTEL-Debüt gab er 2017 mit „Zwei Zimmer, Küche: Staat!" und übernahm dann 2018 die Buchverantwortung für das Jubiläumsprogramm „2018: Odyssee im Hohlraum" – beide Programme stehen weiterhin erfolgreich auf dem Spielplan. Der Autor, Schauspieler und Regisseur arbeitete für Rudi Carrell, betätigte sich als Redakteur und Autor u.a. für „Satiregipfel", „Scheibenwischer", „Harald Schmidt Show" sowie „Singspiel auf dem Nockherberg" und für Künstler wie Jürgen von der Lippe, Dieter Hallervorden, Ingo Appelt, Cordula Stratmann und schrieb Theaterstücke wie „One Way Man" mit Ingolf Lück oder Drehbücher wie „Rat mal, wer zur Hochzeit kommt" mit Henry Hübchen.
Foto: © Ralf Borges