Michael Frowin & Philipp Schaller – Autoren von "Wenn Deutsche über Grenzen gehen"
Die DISTEL hat Sie hauptverantwortlich mit dem Textbuch betraut. Hatten Sie sich zuvor mit einer Plotidee an die DISTEL gewandt oder kam zuerst die Anfrage von der DISTEL, ob Sie Lust hätten für das Haus zu schreiben? Und wann war das?
- Frowin: Philipp und ich kennen die DISTEL ja gut, wir haben hier schon ein Programm zusammen entwickelt. Und zuletzt haben das DISTEL-Studio und das Theaterschiff Hamburg, das ich künstlerisch leite und für das auch Philipp viel arbeitet, ein Programm koproduziert. Daher gab es das Vertrauen der DISTEL, uns als verantwortliche Autoren anzufragen. Das war vor ungefähr zwei Jahren.
Gab es Vorgaben an das Textbuch & Programmstilistik?
- Frowin: Nein. Wir waren da ganz frei. Es ist dann im Prozess eher so, dass man sich selbst an eine gewisse Erwartungshaltung des DISTEL-Publikums gebunden fühlt. Innerhalb dieser „Grenzen“ haben wir dann ausgelotet, wie weit wir über diese beim Schreibe gehen (nur deshalb der Titel).
Wie entstehen die Ideen für ein Kabarettprogramm, für die enthaltenen Themen und für den Plot?
- Schaller: Bei zwei verantwortlichen Autoren besteht die Hauptarbeit im Reden, Entwickeln, Verwerfen. Das braucht Zeit. Wir haben manche Ideen wieder weggeschmissen, obwohl sie weit gediehen waren. Im Gegensatz zu einem reinen Nummernprogramm müssen Figuren und eine Art Handlung entwickelt werden, die einerseits stimmig und spannend sind und andererseits Raum für viele Themen und Abwechslung lassen.
Das neue Programm wird von einer Geschichte (Rahmenhandlung) getragen. Warum haben Sie sich dafür entschieden und nicht für ein klassisches Kabarett-Nummernprogramm?
- Schaller: Unser Stichwort für das Programm war „ZEIT“. Wie gehen wir mit Zeit um, wie verschwenden wir sie, wie wirkt sich die Beschleunigung auf Beziehungen aus, etc. - Alles Themen, die direkt den Menschen betreffen. Deshalb haben wir uns für durchgängige Figuren entschieden, die wir in Situation bringen wollten, in der sie plötzlich viel Zeit haben, und auch nicht fliehen können - weder vor sich selbst, noch vor den anderen. Da werden vielleicht auch mal Sätze gesagt, die man ohne Not nicht geäußert hätte.
- Frowin: Und es macht auch einfach einen Riesenspaß, wenn man in Figuren denken und schreiben kann, weil die einem – je länger der Schreibprozess dauert – die Sätze fast diktieren. Über längere Passagen hinweg Charaktereigenschaften ausschlachten zu können, ist ein großes Vergnügen. Das nochmal gesteigert wird, wenn man die Schauspieler der Figuren schon kennt!
Kabarett muss politisch aktuell sein. Wie garantieren Sie das, wenn doch das Schreiben Monate vor der Premiere beginnt?
- Schaller: Unser Programm ist aktuell, weil wir die Themen für akut halten. Themen, die auch durch immer wechselnde Tagesaktualität nicht verschwinden. Auch dafür sollten die Figuren viel Zeit haben, um sich über diese Themen, die im schnellen Alltag vergessen werden, Gedanken machen zu können.
Inwieweit berücksichtigen Sie die diesjährige Bundestagswahl?
- Frowin: Eine Erwartung ist sicher, dass die DISTEL-Programme auch eine gewisse Tagesaktualität haben. Insofern wird sie in den aktuellen Fenstern eine Rolle spielen. Aber ansonsten finde ich Merkels Erbmonarchie ziemlich langweilig.
- Schaller: Ich auch. Allerdings beschäftigen wir uns im Pausenfinale ausführlich mit den Auswirkungen der Merkelschen Politik auf unsere Gesellschaft. Das finde ich wiederum sehr spannend, und ist eben genau das, was entsteht, wenn Figuren Zeit haben für ein Thema.
Sie schreiben „im Duo“ – wie machen Sie das. Treffen Sie sich morgens nach der Zeitungslektüre und verfassen dann die Szenen zusammen – sozusagen im Dialog …?
- Schaller: Wir machen täglich zusammen fünf Stunden Yoga, wobei wir durch altchinesische Meditationstechniken unseren Geist verbinden. Die anderen fünf Stunden schreibt jeder für sich Szenen, dann guckt der andere drüber, macht Änderungsvorschläge oder erlaubt sich, dem anderen Sätze rauszustreichen. Eine gewisse Uneitelkeit ist da von Vorteil.
- Frowin: Und danach meditieren wir wieder.
Mit welchen Informationen beauftragen Sie die mitschreibenden Autoren? Wie wählen Sie Texte dann aus?
- Schaller: Wir machen die Autoren mit der Grundsituation vertraut und schlagen Themen vor. Aber man muss auch darauf achten, nicht zu viel vorzugeben, damit jeder Autor auch seinen eigenen Gedanken einbringen kann.
- Frowin: In diesem Programm haben gerade die Song-Autoren Axel Pätz und Stefan Klucke ganz neue Ideen und Wendungen eingebracht. Das macht ein Textbuch dann sehr vielfältig und bunt.
Wie weiß man als Kabarettautor, wann etwas lustig & witzig ist? Oder realisiert sich das erst vor dem Publikum?
- Frowin: Es gibt Dinge, die sich erst vor Publikum realisieren, aber das meiste beim Kabarett ist genau berechnet und geschrieben.
- Schaller: Und x-fach geändert.
- Frowin: Allerdings. Philipp hat wunderbar komische Grundeinfälle, aus denen er oft eine fast endlose Pointenfülle schöpfen kann, weil die Geschichte oder Situation so verdammt lustig ist.
- Schaller: Ich muss meistens selber lachen. Das ist aber kein sicheres Zeichen, dass irgendjemand anderes das auch lustig findet. Das ist auch immer ein wenig Gefühl, ob etwas rhythmisch stimmt und knapp und schnell zur Pointe wird.
- Frowin: Und ich bin froh, dass es ein Gag-Autoren gab, der bei meinen Texten mitgeschrieben hat.
Herr Frowin, Sie übernehmen auch die Regie. Inwieweit beeinflusst, verändert das den Schreibprozess.
- Frowin: Schreiben ist das eine. Regie das andere. Mir hat mal ein Regisseur gesagt: Die sicherste Methode zu bewirken, dass er es anders mache als im Textbuch vorgegeben, ist, wenn der Autor zu viele Regieanweisungen reinschreibt. Will sagen: Wie der Text auf der Bühne aussieht, entwickelt man erst beim Proben. Und da entdeckt dann der Regisseur oft beim Autor ganz neue Seiten.
Was denken Sie beide, was bedeutet dem Publikum Kabarett heute?
- Schaller: Plakativ gesagt: Unsere Gesellschaft wird zunehmend unfähiger, einen Dialog zu führen. Deshalb ist Kabarett heute mehr denn je der Ort, wo eine Gegenöffentlichkeit geboten wird. Gedanken, die gegen den Strich bürsten, zunehmend auch gegen die Meinung eines Teils der Zuschauer. Ein Gesprächsvorschlag. Das ist meine Idealvorstellung. Und ich freue mich über jeden, der auf diese Kontroverse Lust hat.
- Frowin: Eins, setzen.
Was ist Satire in einer nahezu tabulosen oder auch politisch brisanten Zeit?
- Schaller: Satire ist zur schnell verfügbaren Ware geworden. Ich kann mich stundenlang bei YouTube durchunterhalten. Und wenn überhaupt noch ein neuer, provokativer Gedanke entwickelt wird, muss dieser in maximal 10 Minuten passen. Damit bedient Satire auch unsere Sehnsucht nach möglichst schnellen, einfachen Antworten. Die gibt es aber nicht. Ich glaube, die Aufgabe der Live-Kabaretts besteht darin, diese Erwartung auf schnelle Häppchen zu enttäuschen und dagegen Lust auf längere Gedankenspiele zu machen.
- Frowin: Und wenn das dann noch lustig ist, dann ist’s perfekt.
v.l. Michael Frowin (Foto: Bernd Brundert) | Philipp Schaller (Foto: Vivian Breithardt)