Schaupieler Timo Doleys feiert sein 10. DISTEL-Jubiläum
Lieber Herr Doleys, wie ist es gekommen, dass Sie Schauspieler werden wollten?
Ich komme aus keiner Theater-Familie. Meine Eltern waren ganz normale Abonnenten am Göttinger Theater. Als mein Vater mal keine Lust hatte, hat meine Mutter mich ins Theater mitgenommen, ohne zu ahnen, dass das einen Stein ins Rollen bringt. Ab dem ersten Theaterbesuch war es um mich geschehen… Da wollt´ ich auch hin.
Wo haben Sie Schauspiel gelernt und was waren erste Engagements & Rollen?
Ich war in Köln auf der Schauspielschule und meine erste Rolle war ein Projekt der Schauspielschule in Kooperation mit dem Theater „Der Keller“. „Eine Woche voller Samstage“, ein Kinderstück von Paul Maar. Ein Stück, das nach der Premiere unseren gesamten Lehrplan durcheinandergebracht hat. Es gab so eine große Nachfrage, dass wir es 122 Mal vor ausverkauftem Haus gespielt haben. Insofern eine gute Vorbereitung auf die Distel, denn auch hier ist es keine Seltenheit, ein Stück 150 oder sogar 200 Mal zu spielen.
Wie sind Sie zum Kabarett gekommen?
2004 habe ich am Theater in Neuss mit Martin Maier-Bode das Ingrid-Lausund-Stück „Konfetti“ geprobt. Er pendelte zwischen Berlin und Neuss, da er gerade parallel an der Distel inszeniert hat. Bei einem Gastspiel in Hagen erwähnte er in einem Nebensatz: „Du, ich glaube die suchen einen jungen Schauspieler an der Distel, schreib da doch mal hin.“ Das habe ich natürlich gemacht… und erst mal monatelang keine Antwort bekommen. Als ich dann aus dem Sommerurlaub zurückkam, lag im Briefkasten ein brauner Umschlag mit 20 Seiten Text: Zwei Lieder, zwei Monologe und eine Szene. 'In 14 Tagen kommen Sie bitte zum Vorsprechen nach Berlin. Die Melodie der Lieder entnehmen Sie bitte der beiliegenden CD.' Es lag natürlich keine CD im Umschlag. Und 4 Tage von den 14 Tagen waren schon vergangen, weil ich im Urlaub gewesen war. Also in der Distel angerufen, nach der CD gefragt. CD wird nachgereicht. Parallel dazu Noten gefaxt bekommen und versucht, mit heimischer Blockflöte schon mal die Melodien der Lieder herauszufinden. Und von morgens bis abends Text gelernt. Ich war ganz schön nervös beim Vorsprechen. Frank Lüdecke als neuer und Peter Ensikat als scheidender künstlerischer Leiter saßen in der ersten Reihe und den Gesichtern war nicht genau zu entnehmen, was Sie vom Vorsprechenden hielten. Doch oh Wunder, irgendwann, Wochen später ein Anruf: Kannst du ab April proben?
Wie „erlernt“ man denn das Kabarett-Schauspiel – wo liegen die Unterschiede zum klassischen Sprechtheater?
Ich hatte bis zur Distel nur theoretische Kabaretterfahrung. Als Zuschauer! Wenn das „Kommödchen“ mit Lore Lorentz, die Münchner „Lach-und Schießgesellschaft“ oder Georg Schramm bei uns in Göttingen gastiert haben. Mit der ersten Produktion an der Distel folgte der Schmiss ins kalte Wasser! Im Kabarett ist der Kontakt zum Publikum direkter als im klassischen Schauspiel!
Gab es Schwierigkeiten beim Wechsel? Oder Zweifel?
Als Anfänger neben Gert Kießling und Edgar Harter auf der Bühne zu stehen, ist gar nicht so einfach. Das sind zwei kabarettistische Urgewalten, bei denen man sich erst mal ganz klein vorkommt. Aber ich hatte Glück, dass die beiden mich akzeptiert und mir Tipps gegeben haben. Manchmal natürlich auch ungefragt. Zweifel an mir selbst habe ich häufig, eigentlich nahezu bei jeder neuen Produktion. Ich versuche es positiv zu sehen, denn so falle ich nicht in eine Routine. Zweifel am Wechsel gab es bei mir eigentlich nie. Kabarett zu machen, macht mir nach wie vor großen Spaß. Zweifel hatten eher ehemalige Schauspiel-Kollegen, die naserümpfend auf das Kabarett herabgeschaut und mich gefragt haben: „Willst du denn nicht mal wieder richtiges Theater machen?“ Für mich ist das absolut richtiges Theater.
Haben Sie Lampenfieber und wenn ja, was machen Sie dagegen?
Ja! Großes Lampenfieber vor Premieren. Ich versuche, durch gute Vorbereitung auf das Stück das Lampenfieber im Zaum zu halten. Gott sei Dank legt sich das Lampenfieber im Laufe der Vorstellungen.
Wie lernt man eigentlich so viel Text?
Wie alle Schauspieler lerne ich den Text in meiner Freizeit.
Welche Charaktere „liegen“ Ihnen oder spielen Sie am liebsten?
Mir machen Figuren mit Dialekten sehr viel Spaß, und es macht mir große Freude, einen neuen Dialekt für eine Rolle zu erlernen. Für „Im Namen der Raute“ hat mir unser Regisseur Dominik Paetzholdt Badisch beigebracht. Für die Rolle des Badensischen BND-Mitarbeiters Kühnen.
Welche Rollen sind am schwierigsten?
Im Kabarett sind für mich die Szenen die schwierigsten, die nicht die offensichtlichen Lacher bedienen. Das Publikum entscheidet natürlich in den Voraufführungen mit darüber, welche Szenen im Programm bleiben. Oft muss gekürzt oder eine Szene gestrichen werden. Manchmal sind aber genau die Texte, in denen das Publikum stumm bleibt, die inhaltlich wichtigsten. Nicht immer kann man die Stille im Saal gleich richtig deuten: Hören die Zuschauer interessiert zu oder wenn nicht, ist eine Szene noch nicht richtig umgesetzt oder bleibt den Zuschauern das Lachen im Hals stecken oder ist das Thema einfach nicht relevant oder fühlen sie sich womöglich von uns in negativer Weise belehrt.
Aber wenn es um ein wichtiges Thema geht, dann muss man als Kabarettist um die Szene kämpfen. Nicht nur nach dem schnellen Lacher gieren, sondern die Stille im Saal aushalten, auch wenn womöglich einige Zuschauer anderer Meinung sind. So wie es jetzt beim Thema AfD und Flüchtlingspolitik manchmal der Fall ist.
Welche Patzer sind Ihnen passiert?
Ich finde Fehler auf der Bühne eigentlich nicht schlimm. Ich habe noch nie erlebt, dass das Publikum einen Text-Hänger oder Fehler negativ aufnimmt. Im Gegenteil: Die Zuschauer werden manchmal durch einen Fehler daran erinnert, dass alles live ist und in diesem Augenblick entsteht. Aber lustige Begebenheiten gibt es einige: So auch in diesem Frühjahr. Die Distel tourt ja auch durch Deutschland. Da gibt es an den jeweiligen Spielorten unterschiedliche technische Voraussetzungen. An einem Gastspielort bestand die gesamte Beleuchtung aus 4 Leuchtstoffröhren, die schon vor der Vorstellung einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck machten. Diese Lampen konnten natürlich nicht per Lichtpult bedient werden, sondern per Hand mit einzelnen Lichtschaltern hinter der Bühne. Was präzises Ein- und Ausschalten schon erschwerte. Wir Schauspieler schmunzelten schon, wenn wir nach Szenenende noch einem Moment verharren mussten, weil mit Verzögerung nacheinander Klack—Klack—Klack das Licht ausgeschaltet werden musste. In der zweiten Hälfte der Vorstellung gab diese einzige Lichtquelle nun mit einem Knall den Geist auf. Wir standen mitten in der Szene im Dunkeln. Mein Kollege Edgar kommentierte die Situation nur mit trockenem Charme: “So jetzt machen wa hier als Hörspiel weiter!“ Eddie und ich versuchten weiterzuspielen, allerdings von heftigen Lachkrämpfen geschüttelt, denn wir hörten hektisches Rennen hinter der Bühne: Unser Techniker auf der Suche nach dem Sicherungskasten. Nach einer Minute ging das Licht wieder an. Eddies trockener Kommentar: „Vorher war´s eigentlich schöner!“, was mich erneut zu einem Lachkrampf verleitete.
Unterscheidet sich das „Theater“-Publikum vom Kabarett-Publikum?
Ich habe das Gefühl, dass die Atmosphäre im Kabarett ungezwungener ist. Zumindest hoffe ich, dass uns das gelingt. Denn eigentlich sollen die Zuschauer während der Vorstellung vergessen, dass da Schauspieler auf der Bühne stehen, sondern vollständig in das Geschehen hineingesogen werden.
Hat sich das Publikum im Laufe der letzten 10 Jahre geändert?
Im besten Falle ist das Publikum auch 10 Jahre älter geworden. Man spürt schon, dass Berlin ein Touristenmagnet geworden ist und unser Publikum nicht mehr nur aus den eingefleischten Berliner Distel-Fans besteht. Den Bekanntheitsgrad der Distel bemerkt man besonders auf unseren Gastspielen, die oftmals schnell ausverkauft sind, wenn sich rumspricht, dass die Distel in der Stadt ist. Das ist ein tolles Gefühl!
Haben Sie mal Prominente im Publikum entdeckt?
Gelegentlich, wenn sie in Sichtweite sitzen. Erst vor wenigen Tagen war Wolfgang Bosbach hier.
Nicht immer geben sich Prominente ja als solche zu erkennen. Anders als Hans Eichel, der nach der Vorstellung großen Wert darauf legte, uns Schauspielern zu erläutern, dass er, entgegen unserer Meinung, keine Mitverantwortung an der Deregulierung der Aktienmärkte trug. Andere Gäste waren z.B. Wolfgang Kubicki, Wolfgang Thierse und Heide Simonis. Auch Egon Bahr bis zu seinem Tod. Sowie Autoren wie Volker Ludwig und Inge Deutschkron, die ich seit meiner Jugend sehr bewundere.
Wie kam es, dass Sie begannen, selbst für die DISTEL zu schreiben?
Manchmal muss Kabarett sehr schnell auf aktuelle Ereignisse reagieren. Nicht immer sind die Autoren so schnell greifbar. Deshalb habe ich vor sechs Jahren einfach selbst angefangen, Programme, in denen ich mitspiele, zu aktualisieren. Zunächst nur einzelne Sätze. Vor allem meinen Kollegen Caro und Eddie bin ich sehr dankbar, dass sie immer bereit waren, meine Ideen auszuprobieren und sozusagen meine ersten Versuchskaninchen für aktuelle Pointen waren. Mittlerweile macht es mir einen Riesenspaß, bei Kollegen zuzuhören und sich mit ihnen zu freuen, wenn eine von mir geschriebene Pointe funktioniert.
Wie schreiben Sie Kabarett-Texte?
Ich bin ja nur Gelegenheitsautor und schreibe sehr gezielt. Oft ist ein aktuelles Ereignis der Anlass. Manchmal ist eine Idee oder ein Gedankenspiel der Ausgangspunkt. Sowie bei „Endlich Visionen“ der 100. Geburtstag von Angela Merkel, den sie mit Günther Jauch in einer Talkshow feiert. Wie sähe Deutschland im Jahr 2054 aus? Was hat Merkel bis dahin umgesetzt? Regiert sie immer noch? Welche Dinge haben sich bis dahin nicht geändert? Bei „Wohin mit Mutti?“ gab es die Figur des kiffenden Bruders der Familie. Und da lag der Gedanke nahe, das Merkel versehentlich zur Konsumentin von Georgs Drogen wird. Das macht mir großen Spaß, anhand so einer Ausgangssituation gedanklich herumzuspielen.
Wie sind Sie auf die Plot-Idee von „Wohin mit Mutti?“ gekommen?
Beim Kaffeetrinken auf dem Altmarkt in Cottbus. Eigentlich eine ganz einfache Idee. Sollte Merkel aus Sicherheitsgründen mal nicht vom Kanzleramt aus regieren können, was wäre dann die größte Fallhöhe für einen Zufluchtsort der Kanzlerin? Das wäre doch ein Unterschlupf bei einer Durchschnittsfamilie. Da würde die Kanzlerin niemand vermuten. Welche Situationen ergeben sich daraus, wenn Merkel ihres Regierungsapparates beraubt ist und auf den Alltag einer Familie trifft. Das fand ich eine gute Ausgangssituation, zu der man schnell eine Menge Assoziationen hat.
Gehen Sie gern ins Theater? Wenn ja, in welche?
Ich stehe natürlich in der Distel sehr oft selbst abends auf der Bühne. Deshalb gehe ich nicht mehr ganz so oft als Zuschauer ins Theater wie früher. Aber sobald es zeitlich möglich ist, bin ich dabei! Ob Berliner Ensemble, DT, Volksbühne, Gorki, Schaubühne oder auch freie Theater wie die Sophiensäle, Neukölner Oper oder das Theater unterm Dach.
© Distel