28.01.2020

No. 88

Mindestlohn für Alle

Der Mindestlohn beträgt aktuell 9,35 € – in Süddeutschland sogar pro Stunde. Jetzt fordert von der Leyen eine Erhöhung, damit die Löhne für ein menschenwürdiges Leben reichen. So viel Milde gab es in der CDU zuletzt unter Otto von Bismarck.

Autor: Martin Valenske 

 

 

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen setzt sich für eine EU-weite Harmonisierung der Mindestlöhne ein. Auch wer nur den Mindestlohn erhält, soll durch Lohnarbeit ein menschenwürdiges Leben oberhalb der Armutsgrenze führen können. So viel Menschlichkeit gab es in der CDU zuletzt unter Otto von Bismarck. Dass sich von der Leyen so für Geringverdiener*innen einsetzt, überrascht aber nicht. Als ehemalige Verteidigungsministerin kennt sie genug Menschen, denen es am Nötigsten fehlt, ja denen es sogar an warmer Winterkleidung mangelt. Mit ihren Maßnahmen zum Mindestlohn will die Kommission auch Fälle von Lohndumping innerhalb der EU verringern. Das ist auch nötig, schließlich verdienen rumänische Handwerker für den Bau eines ganzen Gebäudekomplexes genau so viel wie ein deutscher Handwerker für den Satz: »Oh oh oh, das wird nicht billig« abrechnen kann. 

In Deutschland wurde der Mindestlohn bekanntlich zum Januar 2015 eingeführt, obwohl die Wirtschaftslobby drastisch vor den negativen Folgen warnte. Völlig überraschend können wir fünf Jahre später aber feststellen: Dem solide prognostizierten Weltuntergang ist Deutschland noch einmal knapp entkommen. Wirtschaftlich stehen wir immer noch vor Burundi. Und Europa leidet auch nicht unter ausgehungerten deutschen Wirtschaftsflüchtlingen. Denn trotz seiner gigantischen Ausmaße von 9,35 € – in Süddeutschland sogar pro Stunde! – gehen Menschen in Deutschland immer noch zum Friseur, Zeitungen werden immer noch verteilt und öffentliche Einrichtungen können immer noch Menschen bezahlen, die die Toiletten putzen. Die Beschäftigten müssen dagegen feststellen: Ein großes Geschäft sieht anders aus. Denn von 9,35 € die Stunde kann man in vielen deutschen Städten gar nicht leben und nach den letzten Luxussanierungen kommen selbst Münchens Brücken nur noch für Besserverdienende in Frage.

Daher ist es auch nur folgerichtig, dass die EU-Kommission Deutschland eine Erhöhung des Mindestlohns nahegelegt hat, was bei den üblichen Verdächtigen wiederum die bekannten Abwehrreflexe hervorruft. Besonders beliebt ist das Argument, durch bessere Bezahlung würden Jobs ins Ausland verlagert. So fürsorglich kennen wir die Wirtschaft gar nicht. Nehmen wir einmal an, Sie sitzen am Sonntagmorgen auf der Veranda Ihrer Villa und möchten Ihre weitläufige Parkanlage bewässern – lassen. Was bringt Ihnen dann ein preisgünstiger Gärtner im Kongo? Wie soll denn ein Billig-Gärtner im Kongo in Deutschland Ihren Garten bewässern? Die Frage ist also, ob ein Mindestlohn, der seinen Namen auch verdient, wirklich für ein Erdbeben auf dem Arbeitsmarkt sorgen würde. Denn wenn alle Niedriglöhner*innen entlassen werden, wer macht dann ihre Arbeit? Machen das die Chefs der großen Unternehmen dann selbst? In der Früh schieben sie von 4.00 bis 7.00 Uhr Nachtwache, von 7.00 bis 8.00 Uhr putzen sie die Werkhalle, dann geht es schnurstracks in die Kantine, Brötchen für die Belegschaft schmieren – der Chef heißt nicht umsonst Brötchengeber. Danach seilen sie sich persönlich vom 20. Stock ab, putzen mit der einen Hand von außen die Fenster und kochen mit der anderen im Büro Kaffee für die anschließende Vorstandssitzung. Von 12.00 bis 16.00 Uhr müssen sie ein bisschen den Konzern lenken, nach 16.00 Uhr geht es dann weiter in die Betriebskita. Da können sie mit den kleinen Kindern würfeln. Zum Beispiel die neuen Abgaswerte. Um 19.00 Uhr schreiben unsere viel beschäftigten Chefs dem Wirtschaftsministerium ehrenamtlich ein paar Gesetzestexte und reinigen anschließend die Kleidung der Belegschaft. Um kurz vor 1.00 Uhr nachts geht es dann auch schon wieder zurück nach Hause. Feierabend. Damit wäre eindeutig bewiesen, dass der Mindestlohn in Deutschland auf gar keinen Fall erhöht werden darf. Nicht aus Profitstreben, sondern um ganz altruistisch die Jobs der vielen, vielen Geringverdiener*innen im Land zu sichern, die ja viel zu leicht zu ersetzen wären.

 

 


Martin Valenske ist zu sehen in: "Ruwe & Valenske: Unfreiwillig komisch" und  "Ruwe & Valenske: Wir haben genug".