14.04.2020

No. 103

Helikoptereltern in den Corona-Ferien.

Oder: Wer denkt an die Kinder?
Wir beginnen der Abwechslung halber mit zwei ausgesprochen guten Nachrichten:
 
1) In der AfD debattiert man offen über eine Spaltung – so geht »Social Distancing« heute. Vorbildlich, liebe Volksgenossen! Weiter so.
 
 
2) In Großbritannien durfte Boris Johnson die Intensivstation wieder verlassen, er konnte seinen persönlichen Brexit somit auf unbestimmte Zeit verschieben. Laut Pressemeldung ist er auch bei Bewusstsein – es geht ihm also besser als je zuvor. Schlechte Nachrichten kommen dagegen aus Italien. In der Toskana ist eine Straßenbrücke eingestürzt. Grund  hierfür ist natürlich die Bausubstanz: Man hatte Spaghettiträger verwendet. 
 
Die Hauptmeldung ist aber sicherlich die Debatte um die lang ersehnte Wiedereröffnung von Kitas und Schulen. Schließlich ist der Versuch, zu Hause Arbeit, Alltag und Kindererziehung unter einen Hut zu bringen wie der Versuch, mit drei tanzenden Gummibällen ein Kartenhaus zu bauen. Ganz Deutschland ist von seinen Kindern genervt. Ganz Deutschland? Nein! Eine kleine Gruppe furchtloser Helikoptereltern freut sich über die erweiterten Zugriffsmöglichkeiten auf die eigenen Kinder. Schon in „normalen" Zeiten ist die Überbehütung dieser Eltern atemberaubend. Zum Beispiel gibt es Eltern – alles wahre Geschichten! – die verlangen vom Kita-Personal jede halbe Stunde WhatsApp Nachrichten mit Fotos ihrer Kinder. Es gibt Väter, die vor das Verwaltungsgericht ziehen, damit sie bei der Klassenfahrt der Kinder dabei sein können. Was will Papa denn da machen? Beim ersten Kuss auf den Mundschutz achten? »Vorsicht mein Püppchen, vielleicht hat der Jonah Corona?« Ehrlich, als ich in der Grundschule vier Tage auf Klassenfahrt war, sind meine Eltern erst einmal nach Mallorca geflogen. Und zwar für vier Wochen. Heute gibt es dagegen die absolute Totalüberwachung. Und es geht noch verrückter. Ein Beispiel von vielen: Die Tracking-Software »Schutzranzen« zeigt Eltern über einen GPS-Sender oder ein Smartphone, wo sich ihr Kind gerade befindet. Das sind keine Helikopter-Eltern mehr, das sind schon Drohnen-Eltern. Big Mother is watching you. Da können die Eltern dann aufs Handy schauen und feststellen: »Wo ist denn meine kleine Dörte gerade? Ach, sie ist auf einer Demo gegen die Vorratsdatenspeicherung. Toll. Und was macht mein kleiner Max? Ach, er hockt in seinem Zimmer und bereitet sich aufs zweite Staatsexamen vor.« Überbehütung muss ja mit Anfang 30 noch lange nicht aufhören. Die Firma VW hat übrigens eine Zeit lang mit dieser App experimentiert. Nicht nur die Eltern sollten mit den Daten versorgt werden, sondern über das Navigationssystem auch alle Verkehrsteilnehmer*innen in der Umgebung. Der VW gibt also ein Signal, wenn sich ein kleines Kind nähert. Es handelte sich wohl um ein Sondermodell für den belgischen Markt.
 
Mittlerweile gibt es auch Mütter, die mit ihren erwachsenen Söhnen in die Uni gehen, um für die Söhne bei den Vorlesungen mitzuschreiben. Da lacht uns der Rest der Welt doch aus! Schauen wir nur mal nach China, da beginnt man auch frühzeitig mit der Bildung, allerdings mit etwas mehr Drill. Dort lernt man nicht erst im Kindergarten Chinesisch, da gibt es Karatekurse für Spermien, während wir unsere Abiturient*innen hochnehmen, damit sie Bäuerchen machen können.
 
Auch wenn es natürlich schlimmeres gibt als Helikoptereltern, mag man sich trotzdem nicht ausdenken, wie es diesen Kindern gerade geht. Man kann die Kinder dieser Eltern aber aktuell sehr leicht erkennen. Statt wie ihre Mitschüler*innen die »Corona-Ferien« zu genießen, rütteln sie panisch am Schultor und brüllen verzweifelt: »Ich will hier rein.«

 

 Text: Martin Valenske