15.08.2018
Wenn einer keine Reise tut. Dauercamper im großen Urlaubstest.
Folge 20
In rostigen Wohnwagen herumzulungern gilt zwar als Vorstufe zur Obdachlosigkeit, für Dauercamper ist es aber der Sehnsuchtsort für den Traumurlaub, noch vor Balkonien und der Südsee.
Autor: MARTIN VALENSKE
»Deutschland wieder einmal Reiseweltmeister!« So tönte esJahr für Jahr nach jeder Urlaubssaison die deutsche Presse rauf und runter. Undauch dieses Jahr sind wieder Millionen Deutsche durch die ganze Welt gereist,nach Malle zum Saufen, nach Indien zur Selbstfindung oder in die Türkei. (Inder Türkei muss es besonders schön sein. Viele bleiben länger, alsursprünglich geplant.) Trotzdem hat Deutschland seinen Spitzenplatz als Reiseweltmeisterverloren. Je nach Jahr und Statistik liegen Chinesen und US-Amerikaner vor uns,obwohl man bei US-Amerikanern seit Trump statt von Urlaub wohl eher von temporärerFlucht sprechen sollte.
Sei’s drum, der Titel Reiseweltmeisterhat ohnehin darüber hinweg getäuscht, dass immer nur ein Teil der Deutschenzwecks Urlaub um die Welt reist. Der andere Teil der Deutschen verreist nicht,sondern hockt im Wald und macht Dauercamping. Deutschland ist also gespalten inVielflieger und Dauercamper. Die einen zerstören dieUmwelt, die anderen stören die Umwelt. Dass letztere sichbevorzugt im deutschen Wald ansiedeln, ist kein Zufall, gilt er doch seit jeherals mystische Kraftquelle und Heimat des Deutschen. Hier hausten schon dieGermanen, die unter Historikern in Bezug auf Alkoholkonsum, Freizeitverhaltenund Körperhygiene als die ersten Dauercamper gelten. Es war auchdieser heilige deutsche Wald, in dem unsere heldenhaften Vorfahren die Römerbesiegten und so für über 2000 Jahre erfolgreich die Einführung vonZivilisation, Fußbodenheizung und Pizza auf deutschem Boden verhinderten. Dochdiese Vorzüge benötigt derDauercamper auch gar nicht, denn er grillt den ganzen Tag Dinge, bei denen sichder Metzger bis heute fragt, wie er das Zeug losgeworden ist.
Und während in der übrigen westlichenWelt das Herumlungern in rostenden Wohnwagen als das angesehen wird, was esobjektiv ist, nämlich die Vorstufe zur Obdachlosigkeit, wird Dauercamping beiuns hingegen zum kleinen Glück verklärt. Auch irgendwiesympathisch, dass sich einige Deutsche mit so wenig zufrieden geben können.Alles, was Dauercamper für ein naturnahes Campingerlebnis brauchen, ist eineSammlung Gartenzwerge in Divisionsstärke, einen Fernseher, einen Kasten Bierund eine gebügelte und vor allem saubere (!) Blümchentischdecke. Das verstehtman in Deutschland unter unbefleckter Natur.
Für Nicht-Dauercamper ist dieseLeidenschaft nur äußerst schwer zu verstehen. Schließlich sind beimDauercamping nicht nur die Behausungen äußerst beengt, sie haben auch nocheinen miesen Standard, sind weit draußen in der Pampa und alles hängt vollerDeutschlandfahnen. Manche von ihnen immerhin schon in schwarz-rot-gold. Das isteine Mischung aus Flüchtlingsheim und AfD-Parteitag. So was ist dochschizophren! Das findet man nur in Deutschland. Dann dröhnt dieganze Zeit auch noch Volksmusik durch das Camp; das hilft zwar gegen Mücken,aber schön ist anders.
Kein Wunder also, dass viele andereDeutsche da lieber in den Urlaub fliegen. Am liebsten nach Spanien. OderBarcelona. Soll ja beides ganz hübsch sein. Hier tarnen sie sich stilsicher mitSocken in den Sandalen (international bekannt als Teutonentreter), zählen dasTrinkgeld bis auf den Cent genau ab und hoffen inständig, dem einzig wirklichunschönen Urlaubserlebnis aus dem Weg zu gehen: Anderen deutschen Touristen.
Martin Valenske ist zu sehen in: "frisch gepresst. Politcomedy-Late-Night"
und in "Wir haben genug".