Hans Kieseier - Regisseur von "Wer früher zockt ist länger reich"
Wie kann sich das Publikum die Inszenierungsarbeit vorstellen? Gibt das Textbuch eher viele Spielräume für Regie-Ideen her oder hat der Autor bereits sehr genaue Vorstellungen im Textbuch vorgegeben?
Ja. Ein Textbuch gibt immer viele Freiheiten, was die Inszenierung angeht: Im Text steht, dass sich 2 Protagonisten Strumpfmasken über den Kopf ziehen. Je nach Inszenierung kann allein dieser Vorgang Minuten dauern, weil die Strümpfe zu klein sind, stinken, erst ausgepackt werden müssen, sie blickdicht sind und erst Augenlöcher eingerissen werden müssen, weil sie kratzen, Platzangst verursachen usw. Das kann zu sehr komischen oder auch dramatischen Situationen führen.
Enstehen Ihnen schon beim ersten Lesen des Textbuches viele Szenen- und Bühnen-Bilder im Kopf oder entwickeln die sich eher bei den Proben? Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Ausstatterin, die das Bühnenbild entwirft?
Viele Inszenierungsideen entwickeln sich schon beim ersten Lesen. Das Meiste ergibt sich allerdings aus der Arbeit mit den SchauspielerInnen, die durch ihre Ideen und Spielfreude enorm an der Entwicklung einer Inszenierung beteiligt sind.
Das Bühnenbild für „Zocken“ entstand im Vorfeld im ständigen Austausch mit unserer Bühnenbildnerin Hannah Hamburger. Aber auch im Probenprozess entstehen noch viele Ideen durch das Einbeziehen aller Beteiligten, von der Geschäftsführung, bis zur Regieassistentin - und natürlich auch der Schauspieler.
Wie viel Wochen wird geprobt? Wird die Probenzeit in Arbeitsphasen strukturiert? Wie läuft ein Proben-Tag gewöhnlich ab?
Geprobt wir über knapp 7 Wochen. Es gibt sowohl logistische, als auch künstlerische Strukturierungen. Textarbeit, erstes Anstellen der Szenen, musikalische Proben, technische Einrichtung der Bühne usw.
Ein Probentag unterteilt sich gewöhnlich in die Phasen Textarbeit, Ausprobieren, Festlegen, Wiederholen und Nacharbeiten im Textbuch. Dann das Kommunizieren des aktuellen Probenstands an den Autor bzgl. Textänderungen, Wünsche an Bühnenbild, Kostüm Requisite und technische Einrichtungen.
In DISTEL-Programmen gibt es immer viel Live-Musik. Wie wird dieses Mal die Musik ausgewählt? Wie entscheidet sich der Regisseur, wo Musik-Einspieler oder ganze Songs ins Stück aufgenommen werden?
Auch in „Zocken“ gibt es musikalische Anteile. Die Songs entspringen hauptsächlich aus der Feder von Felix Lauschuss, unserem musikalischen Leiter und Teil des Ensembles. Natürlich diskutieren wir und nehmen auch hier im Laufe der Probenzeit inhaltliche, sowie musikalische Anpassungen vor.
Sind die drei Protagonisten des Programms Menschen aus Deutschlands Mitte oder eher Außenseiter?
Die drei Protagonisten sind Menschen, Männer, wie Du und ich mit sehr hohem Wiedererkennungswert. Wir lieben sie und doch gehen sie uns mit ihren Macken immer wieder auf den Keks. Wir lachen über sie und sind im nächsten Moment gerührt. Sie könnten uns eigentlich egal sein, aber wir hoffen, dass sie ein gutes Ende nehmen…
Welche "Rolle" schreiben Sie Kabarett/ Ensemble-Kabarett in der heutigen Kultur- und Medienlandschaft zu?
Die Rolle des Kabaretts? Unterhaltung, Selbstversicherung, Argumentationshilfe, Veranschaulichung. Wichtig. Immer!
Welche KabarettistInnen oder Kabarett-Formate mögen Sie?
Es gibt so viele Gute! Aktuelle Favoriten: Edgar Harter, Michael Nitzel, Felix Lauschuss … ;-)
Zu Ihnen persönlich: Sie sind vom Jazz, über das Ballett zu Schauspiel & Improvisation und schließlich zum "politischen Karneval" sowie zum Kabarett gekommen. Sie arbeiten als Schauspieler - u.a. auch fürs Fernsehen - als Regisseur, haben eine Theategruppe gegründet und Theaterstücke geschrieben. Wie hat sich diese breit abgesteckte künstlerische Laufbahn ergeben? Wo lagen die Gründe/ Auslöser für einen Wechsel bzw. für die Ausweitung des Wirkungsfeldes?
Auslöser gab es verschiedene. Wie so Vieles im Leben aber hat es damit zu tun, dass ich zu bestimmten Zeitpunkten an einem bestimmten Ort auf bestimmte Leute getroffen bin. Zur Stunksitzung bin ich gekommen, weil mich mein Freund Michael zu einer Vorstellung eingeladen hat. Ich war begeistert und ein Jahr später wurden Schauspieler gesucht – man hat mich als Freund und Theaterinteressierten gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mitzumachen.
Bill Mockridge, den Leiter des Springmaus Improvisationstheaters lernte ich als Tänzer in einer Musicalproduktion mit Dirk Bach, Ernst Hilbich und Lotti Krekel kennen. Bill meinte, ich müsste Improtheater machen…
Auf diesem Weg kam ich in Kontakt zu diversen Improgruppen, die mich baten, sie zu coachen.
Im Laufe meiner Jahre als Schauspieler bei der Stunksitzung wuchs der Wunsch selber mal Regie zu führen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, verstanden zu haben, worum es dabei geht und: Voila!
Frustriert darüber, viel zu selten selber zu spielen, hab ich mit Kollegen und Freunden eine Theatertruppe gegründet. In Ermangelung eines Textes ergab es sich, dass ich anfing, unser erstes und zweites Stück selber zu schreiben.
Wie sind Sie nun zur DISTEL gekommen?
Ganz einfach: Dominik Paetzholdt, der jetzige künstlerische Leiter der Distel, bat mich, die Regie für „Wer früher zockt ist länger reich“ und „Berlin Extra Scharf“ zu übernehmen. Kennengelernt haben wir uns 2006 am Theater am Ku'damm; damals war er Dominik war mein Regieassistent für das Stück „Die 39 Stufen“ mit Ingolf Lück
Sie kommen aus Köln; sicher sind Sie hauptsächlich vom rheinischen Humor geprägt? Welchen Humor erwarten Sie vom Berliner Publikum? Inwieweit inszenieren Sie hier eventuell "anders"? Oder stellt sich die Frage für Sie nicht?
Was den „rheinischen“ Humor angeht… ich kann nur über etwas lachen, was ich persönlich komisch finde. Und das kann ich auch inszenieren. Humorvorgaben sind furchtbar und machen, qua Definition, keinen Spaß, zu bedienen. Wir werden sehen, wie das Publikum der Distel auf das Stück und die Inszenierung reagiert.
© Joyce Ilg