KURT POHL - unser Techniker geht in Rente. Ein Gespräch.
Welchen Beruf haben Sie erlernt?
Ich habe 1969, also mit 16 Jahren, eine Ausbildung zum Funkmechaniker gemacht, das heißt ich habe Radio- und Fernsehgeräte repariert. Und dann war ich bei der Armee, bei der Nachrichtentechnik. Da habe ich auch mit größeren Anlagen, also Industrieanlagen und Industrieelektronik, gearbeitet. Das gefiel mir besser als Heimelektronik.
Wie war Ihr beruflicher Werdegang?
Nach der Armee habe ich mich beim Palast der Republik beworben und dort im September 1975 angefangen - also noch auf der Baustelle. Der Palast wurde dann im April 1976 eröffnet. Ich bin zur Beleuchtung gekommen und habe im Winter 1975 auf 1976 die Anlage mitgebaut. Im Palast habe ich bis 1991 gearbeitet - ich war da also vom Anfang bis zum Schluss.
Und dann haben Sie bei der DISTEL angefangen?
Nein. Als wir in der letzten Zeit wegen des Asbests im Palast nicht mehr arbeiten durften, da habe ich im Winter 1990 bis 1991 mit einem Regisseur vom Palast und anderen Technikern und Kollegen das ehemalige Haus der russischen Offiziere nahe Bahnhof Karlshorst zu einem Theater umgebaut. Da hatte sich das „Theater der Ostens“ als ein ABM-Projekt gegründet. Die Eröffnungsgala habe ich auch noch mitgemacht. Ich hatte die Möglichkeit, zwei Jahre innerhalb dieses ABM-Projektes zu arbeiten. Das wäre auch nicht schlecht gewesen, die haben damals auch verdammt gut gezahlt. Aber ich habe im Sommer 1991 das Angebot von der DISTEL bekommen; und ein fester Arbeitsplatz war mir lieber, also bin ich hierher gekommen.
Hatten Sie sich hier beworben?
Ja, ich hatte hier angefragt. Ich wusste von einem ehemaligen Kollegen, dass die DISTEL kurzfristig jemanden sucht. Der damalige DISTEL-Techniker wechselte zum Starlightexpress.
Was beinhaltete die Arbeit in der DISTEL?
In den ersten Jahren habe ich "nur“ die Beleuchtung an einer sehr einfachen Anlage übernommen. Damals war die Tontechnik auch noch ganz simpel: Für musikalische Szenen wurde z.B. ein Mikrofon mit Kabel benutzt. Die Musik wurde etwas verstärkt. Später haben wir auf der Bühne solche Grenzflächenmikrofone benutzt, um den Ton zu verstärken. Einige Jahre später gab es diese Ansteckmäuschen, die dann von den Mikroport-Headsets abgelöst wurden.
Wie geht in der DISTEL heutzutage das Bühnenlicht an? Sie sitzen in Ihrem kleinen Raum hoch über dem Rang an einem Pult mit sehr vielen Reglern und Knöpfen und vor 2 Monitoren und doch ist ja alles programmiert?
Während der Proben wird bereits das Licht für alle Szenen eingestellt. Und es gibt natürlich immer wiederkehrende Licht-Stimmungen auf der Bühne, die wir schon einmal auf den Geräten eingerichtet hatten und dann in Variationen immer wieder verwenden können. Das wird alles für das jeweilige Stück programmiert und der Techniker muss dann während der Vorstellung nur zur richtigen Zeit die vereinbarte Licht-Situation auslösen. Wir haben dazu einen Vorstellungsablauf auf dem Tisch liegen, in dem wir den Auslöser für die entsprechende Szene notiert haben: Manchmal ist es das Ende der Musik - Klack – Bum – Licht aus. Manchmal ist es ein Stichwort oder eine bestimmte Handlung der Darsteller; und dann wird die nächste Stimmung ausgelöst. Auch die Laufzeit des Stimmungswechsles, ob das jetzt schnell oder langsam wechselt, wird programmiert. Nur wenn wir Gastspiele haben, dann machen wir das manuell, weil das Programmieren zu lange dauern würde
Was läuft denn tonmäßig während der Vorstellung?
Früher mussten wir die Mikrofone laut und leiser machen, bei den Liedern ein bisschen Hall reinschieben und so weiter. Da haben wir mit einer Hand den Ton und mit der anderen Hand das Licht gefahren. Bis es soweit war, dass es mit zwei Händen nicht mehr zu machen ist. Inzwischen nutzen wir für den Ton digitale Pulte und alles wird programmiert. Das machen jetzt die Musiker selbst während der Vorstellung. Bei Gastspielen übernehmen wir das wieder oben. Inzwischen betreuen wir auch das Studio ton- und lichttechnisch - hier wird auch alles programmiert.
Hat sich die Tätigkeit mit der Zeit verändert?
Im Laufe der Zeit wurde die Arbeit - wie überall - immer komplexer: Mehr Aufgaben, mehr Gerätschaften zu bedienen und auf- und abzubauen. Am Beispiel des Tons: Früher hatten wir einen Köfferchen-Verstärker. Da war noch keine Rede von Sendestrecken und digitalen Pulten und Computereinspielungen. Heute läuft das alles über Rechner. Alle Geräusche und Effekte. Als Zwischenlösung gab es vorher zum Beispiel den CD-Player, mit dem man etwas eingespielt hat.
Was gehörte noch zu Ihren Aufgaben?
Man ist halt hier im Haus so ein bisschen Allround-Techniker. Das Bühnenbild bauen wir im Normalfall nicht selber, aber wir nehmen Einfluss darauf, wie es gemacht wird. Die Sachen müssen dann im Theateralltag für uns händelbar sein. Es ist ja immer nur ein Techniker im Haus, er muss also alles alleine aufbauen können. Wir achten auch darauf, dass das Bühnenbild ebenso für die Tournee taugt; also in unser DISTEL-Auto passt und auch treppauf-treppab transportierbar ist.
Wie läuft so ein regulärer Arbeitstag ab?
Wenn das Programm wechselt oder wir tagsüber Proben haben, komme ich her und mache den Bühenaufbau, danach geht’s ans Licht.
Wie lange dauert gewöhnlich ein Bühnenbildwechsel?
Unterschiedlich. Das kann mitunter ca. zwei Stunden dauern. Dann muss nach einem Wechsel noch ein Soundcheck gemacht werden. Jeder Schauspieler hat ja sein eigenes Microport. Wenn da zuvor ein anderes Programm lief, muss kontrolliert werden, dass auch jeder wieder auf dem richtigen Kanal steckt. Dann muss das entsprechende Programm auf das Tonpult geladen werden. Das ist Routine und das ist auch sehr wichtig. Wenn es nicht funktioniert, kommt natürlich immer schnell Hektik auf.
Anschließend betreuen Sie die Vorstellung, machen nach dem Schlussapplaus das Saallicht an und warten bis der letzte Zuschauer raus ist?
Ja, dann schließe ich das Haus wieder zu.
Also Sie sind wirklich immer der Letzte?
Ja.
Wie lange kann das dauern?
Nachdem der letzte Zuschauer raus ist, werden alle Räume überprüft: Von den Toiletten angefangen; ich arbeite mich von oben bis unten durch. Ich gehe also richtig alles ab. Und wenn wir am nächsten Morgen Proben haben, dann geht man anschließend noch auf die Bühne und baut alles für die Probe am nächsten Tag auf.
Was gehörte noch zu Ihrer Arbeit?
Auf Tournee fahren. Da gibt es so eine Vorarbeit. Vorabsprachen mit dem Gastspielort. Wir vereinbaren, was wir grundsätzlich brauchen. Dann heisst es, alles ins Auto zu packen: Bühnenbild, Ton, manchmal auch ein bisschen spezielle Lichttechnik. Für die Garderobe / Kostüme ist die Inspizientin zuständig. Fahrt zum Gastspielort. Da wird aufgebaut. Man freut sich, wenn man das Haus kennt. Am besten sind natürlich richtige Theater, weil man da kompetente Leute trifft. Schwierig wird es bei besonderen Aufführungsorten.
Haben Sie auch mal Requisiten hergestellt?
Eher selten. Für die Tourneevariante des Bühnenbildes muss manchmal doch etwas gebaut werden, z. B. eine kleinere Variante von großen Leinwänden. Und für das Weihnachtsprogramm „Der Zweck heiligt den Abend“ habe ich eine Dornenkrone gebastelt - aus Trieben von Brombeersträuchern. Solange sie feucht sind, lassen sie sich gut biegen und sie haben keine Stacheln, obwohl es so aussieht.
Ansonsten?
Sonst habe ich mich auch um die anderen Anlagen gekümmert: Lüftung, Klimaanlage, Notlicht. Da ist ein Ansprechpartner für die Sachverständigen von Prüfungen und Wartungen nötig, die wir als Betrieb nachweisen müssen. Vom Keller bis zum Dach. Da muss man in tausend Ecken.
Wie ist es denn, immer abends zu arbeiten?
Ach ja, das ist Gewohnheitssache. Nach 25 Jahren fällt das gar nicht mehr so groß auf. Aber unbedingt schön ist es nicht.
Wenn Sie hier um so 23 Uhr raus sind, gehen Sie zu Hause dann gleich ins Bett?
Nein. Dann setze ich mich hin, trinke ein Bier und schaue fern. Bestimmt noch eine Stunde. Morgens stehe ich so zwischen sieben und acht auf. Meine Frau ist da schon aus dem Haus. Nur am Wochenende können wir zusammen Mittag essen. Es ist ja auch nicht schlecht, in der Woche tagsüber frei zu haben. Ich muss ja auch oft erst gegen 17 Uhr in der DISTEL sein.
Welche Pannen sind Ihnen passiert?
Also, dass die Sache gar nicht zu retten war, das gab’s nicht. Stromausfall hatten wir mal in der ersten Hälfte. Da war die Vorstellung vorbei. Das gab’s. Da mussten wir dann die Leute nach Hause schicken. Das ist aber schon ewig her. Vor ein paar Jahren gab es mal so ein Problem: Der Hauptschalter für das Dimmen des szenischen Lichts ist im Keller. Wir haben so eine Art Fernbedienung. Aber dieser Schalter ist irgendwann mal kaputt gegangen. Und dann ist es halt mit dem szenischen Licht nicht mehr weit her. Ich hatte an diesem Abend keinen Dienst. Mein Technik-Kollege hat die wenigen Scheinwerfer, die auch über direkte Steckdosen funktionieren, benutzt und die Schauspieler haben eine Ansage gemacht. Dann habe ich am Sonnabend genauso gearbeitet und auch das Gastspiel am Sonntag so durchgezogen. Erst am Montag konnten wir das Ding reparieren lassen, aber ausgefallen ist deshalb nichts. Da muss man sich halt einen Kopf machen, wie man das wieder realisiert bekommt.
Und dass mal ein Schauspieler ohne Ton war?
Na das ist ja keine Panne, das kommt ja öfter mal vor. Diese Mikrofone gehen ja oft kaputt. Ich sage mal, der Kabelbruch an den Headsets ist vorprogrammiert. Die knicken immer an einer ganz bestimmten Stelle. Da bricht das Kabel ab und man hat immer dieses Knacken drauf. Oder gar nichts, je nachdem ob beide Drähte durch sind oder nur einer.
Und so etwas, wie im Solo mal gar kein Licht? Im Dunkeln stehen lassen…
Nein, eigentlich nicht. Das merkt man dann schon. Vielleicht ist man mal zwei Sekunden zu spät. Das ist nicht so schön, aber es passiert.
Aber: Dreißig Minuten vor Vorstellungsbeginn ein anderes Bühnenbild aufgebaut, das habe ich auch schon hingekriegt. Weil ein Schauspieler ausgefallen war. Und da haben wir ganz kurzfristig – noch schon während des Einlasses - noch das andere Bühnenbild aufgebaut und dann die andere Show gefahren.
Und dann kann ich mich erinnern, haben wir am 11.09.2001 die Show abgesagt. Und das war, soweit ich mich erinnern kann, das einzige Mal. Wegen der Umstände.
Und wie viel bekommen Sie eigentlich von den Programmen mit - also vom Inhalt, vom Politischen? Sind Sie da aufmerksam?
Ja, auf jeden Fall. Ich höre mir ja auch jede Vorstellung an.
Was sind denn Ihre Lieblingsprogramme?
Jedes Programm hat Stärken und Schwächen, wollen wir uns mal nichts vormachen. Mir ist es immer am liebsten, wenn die Szenen nach Ensikat-Art geschrieben sind, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Oder von hinten rum, wenn einem erst beim zweiten Mal Überdenken der Sinn der Sache klar wird. So etwas gefällt mir am besten.
Also Sie neigen eher zum schwarzen Humor?
Nein das muss nicht schwarz sein, aber nicht diese Frontalsache. Ich weiss schon, dass kann man den Leuten auch nicht zwei Stunden zumuten, das ist mir schon klar.
Welche Kollegen behalten Sie denn noch in guter Erinnerung?
Auf jeden Fall Gert Kießling. An den kommt keiner so richtig ran. Der war so eine Rampensau.
Was wünschen Sie dem Haus? Haben Sie Tipps oder Ratschläge?
Heinz Lyschik, ein ehemaliger Dramaturg und Autor, hat in den 90er Jahren in jedem Programm einen besonderen Block für die aktuelle Politik geschrieben. Damit hat er sich befasst. Das hat mir gut gefallen, dass man eine ganze Szene für die Tagespolitik hat, die ganz kurzfristig dazukam. Jetzt kommt das an den Anfang des Programms, nur nicht so ausführlich. Darum kümmern sich die Autoren oder die Schauspieler. Timo Doleys ist da ja zum Beispiel sehr geschickt. Aber damals war es halt fester Bestandteil jeder Show. Die DISTEL braucht so eine aktuelle Komponente. Ich denke mir, das gehört dazu. Und wir sollten das auf jeden Fall hier weiter betreiben.
Freut sich denn Ihre Frau?
Ja. Jetzt werde ich an den Wochenenden zu Hause sein. Da freue ich mich selber auch drüber. Und: In den letzten 40 Jahren war ich entweder Weihnachten oder Silvester nicht zu Hause.
Würden Sie den Beruf wieder ergreifen oder haben Sie inzwischen andere Interessen?
Ich sage mal, die 25 Jahre in der DISTEL waren ganz anders, als im Palast der Republik - da war ich nur Techniker. Wir hatten im Palast ja eine große und komplizierte Anlage und die haben wir auch selber gewartet und ich habe viele Vorstellungen gefahren, aber mit den Leuten auf der Bühne hatte ich gar nichts zu tun. Die hat man bestenfalls im Bühnencasino gesehen. Doch ohne Kontakte. Und das war ja hier nun ganz anders. Das Haus ist kleiner und man kommt mit den Schauspielern, Musikern, Regisseuren doch anders in Kontakt als in einer großen Mammutbude. Und das war sehr angenehm hier. Der Job hier ist auch übergreifend. Hier macht man halt alles. Und das hat mir immer gelegen.
Gehen Sie sonst ins Theater?
Vielleicht einmal im Jahr in den Friedrichstadtpalast. Ansonsten wenig. Das kann sich ja vielleicht bald ändern.
Wir wünschen unserem Kollegen Kurt Pohl einen humorvollen Ruhestand!
P.S. Zum Glück hat er zugesagt, uns mit Tipps und Kurzeinsätzen weiterhin zu helfen.
© DISTEL