18.11.2022

No. 237

Berlin – Wiederwählen macht Freude!

von Tilman Lucke

 

Der Retro-Trend geht weiter: Nach „Wetten, dass...", der Flüchtlingskrise und Low-Waist-Hosen steht im Februar die Wiederholung des Berliner Wahlchaos an. Letztes Mal standen wir beim Wahl-Akt ziemlich blank da.

Wir Berliner wählen nicht immer, aber immer öfter: Laut dem Landesverfassungsgericht steht 2023 wieder eine Wahl zum Abgeordnetenhaus an. (Anstehen ist in diesem Zusammenhang wohl das richtige Wort.) Da es sich um eine Wiederholung und keine Neuwahl handelt, amtiert es dann allerdings nicht für fünf Jahre, sondern nur bis 2026. Dreieinhalb Jahre, oder wie man in Berlin sagt: ein Viertel Flughafen. Alle Kandidaten bleiben gleich, weshalb Sie dieselbe Partei wählen müssen, die Sie damals gewählt haben oder hätten gewählt haben wollen. Wenn Sie also 2021 die Linkspartei angekreuzt hatten und inzwischen nicht mehr der Meinung sind, Berlin solle besser eine russische Oblast werden, müssen Sie es trotzdem wieder tun. Einen Vorteil hätte es allerdings, würde uns Putin annektieren: Dann hätte es solch ein Wahlchaos nie gegeben.

Ungeklärt ließ das Verfassungsgericht, ob der Marathon ebenfalls komplett wiederholt werden muss oder nur teilweise. Er ist zwischenzeitlich sogar bereits regulär wiederholt worden – Ende September mit einem Weltrekord. Der wackelt jetzt natürlich auch. Ebenso war die Wahl der RBB-Intendantin vor zwei Jahren anscheinend ungültig und muss im nächsten Jahr wiederholt werden. Wie wäre es mit einem eigens für Berlin eingeführten Schaltjahr, in dem wir alles noch mal machen, was die anderen schon vor uns regulär hingekriegt haben?

Rät man der Stadt Berlin, angesichts der Pannen einen Aufnahmeantrag bei der Afrikanischen Union zu stellen, würde dieser vermutlich nur deshalb scheitern, weil keiner im Roten Rathaus den Datumsstempel finden kann.

Trotz Rekord-Briefwahl wegen Corona reichte 2021 die Kapazität vieler Wahllokale bei weitem nicht aus, weshalb man noch in den Abendstunden für die Stimmabgabe anstand. Pech, der BER dass ein Jahr vorher viel zu früh eröffnet worden war: Auf dem Flughafengelände hätten 2,4 Millionen Wahlkabinen locker Platz gefunden.

Akribisch prüft nun die Berliner Innenverwaltung, ob im Frühjahr irgendwelche Großveranstaltungen buchstäblich im Weg sein könnten: Die Fashion Week ist vorbei, die Berlinale startet zum Glück erst ein paar Tage später. Kritisch sind nun unvorhergesehene Großereignisse wie Waldbrände, Razzien, Schienenersatzverkehr oder die Klassenfahrt der 11c aus dem Sauerland. Außerdem würde uns nicht wundern, würde Olaf Scholz genau für den Wahltag einen Staatsbesuch von Joe Biden im Kanzleramt ansetzen.

Im Senat hofft man auf den Rumsprecheffekt, dass die erwartete Wartezeit in den Wahllokalen viele Menschen zur Briefwahl bewegt oder dazu bringt, dem Wahlakt ganz fernzubleiben. Dann könnten die wenigen, die kommen, sinnvoll abgefertigt werden. Notaufnahmen praktizieren diesen Geheimtipp seit Jahren. Klappt nie.

Dass die Berliner Humor haben, beweist schon der Titel, mit dem sich Franziska Giffey schmückt: Ausgerechnet die unregierbarste Stadt der Welt nennt ihr Stadtoberhaupt „Regierende Bürgermeisterin". Dieser Titel wird ihr nun aberkannt – eine Routine für sie. Fehlt nur noch, dass ihr Gute-Kita-Gesetz auch noch für ungültig erklärt wird.

Giffey garantiert für die Neuwahl jedem Wahllokal „140 Prozent an Ausstattung". 140 Prozent – hat sie jetzt auch noch einen Doktortitel in Mathe verloren? Nein, denn es wird beispielsweise das Erfrischungsgeld drastisch erhöht. Allerdings muss man dafür diesmal auch mehr tun: 2021 war das Erfrischungsgeld nämlich in vielen Fällen schon zu Beginn des Wahltags an die Wahlhelfer ausgezahlt worden. Großer Fehler! Die hatten natürlich den Rest des Tages frei. Erfrischungsgeld darf in Berlin übrigens laut gesetzlicher Vorschrift nur für vier Dinge ausgegeben werden: Bier, Zigaretten, Currywurst und Koks. Erfrischung eben.

In einem Fünftel der Stadt, in 431 Wahlbezirken, wird auch die Bundestagswahl wiederholt. Aber nicht am 12. Februar, sondern vermutlich erst drei Wochen später. Nicht wiederholt werden muss nur der Volksentscheid zur Enteignung der Wohnungsbaukonzerne, da sagt der Senat: Wir setzen das Ergebnis sowieso nicht um. Dafür steht ein neuer Volksentscheid an, diesmal zur Klimaneutralität. Die Initiatoren hatten sich bemüht, ihre Unterschriftenlisten fristgerecht abzugeben, damit eine Zusammenlegung der Volksabstimmung mit der Berlin-Wahl eine höhere Wahlbeteiligung ermöglicht. Für eine Zustimmung sind – neben der Mehrheit – nämlich ein Viertel der Wahlberechtigten nötig. Der Senat will aber die Fristen ausschöpfen und erst Ende April abstimmen lassen, auf dass die 25 Prozent unterschritten werden und das Ergebnis nicht bindend ist. Demokratie at its best!

Und so werden wir vermutlich im Februar, März und April 2023 in drei aufeinanderfolgenden Monaten dreimal an die Urnen gerufen. Toi, toi, toi! Die Wahlhelfer werden jedenfalls gebeten, sich im Kalender schon mal den Februar, März und April 2024 freizuhalten, um die Wiederholungen zu wiederholen. Für die bestellt der Senat dann auch rechtzeitig selbstklebende Wahlumschläge aus Österreich.

 



Tilman Lucke ist zu sehen in der Late-Night-Show „Frisch gepresst – der satirische Monatsrückblick“ sowie in seinen Soloprogrammen „Entweder – und!“ und „Lucking zurück“. Außerdem moderiert er jeden Donnerstag den Podcast „Lucke & Hengstmann“ und leitet das Zungenspitzer-Festival.