12.08.2019

No. 65

Ohne Fleiß kein Reis – ein Anruf in Bangladesch

#Globallaballa

 

Des einen Kleid, des andren Leid! Bei Textilien erleben wir die Globalisierung hautnah. Wer hätte denn ahnen können, dass ein Fair-Trade-Pulli so teuer ist? Zum Glück stellt dieselbe Textilfabrik in Bangladesch auch Unfair-Trade her. Ein Kontrollanruf in der Fabrik.

Autor: TILMAN LUCKE

 

 

Guten Tag! Spreche ich mit Bangladesch? – Aha, gut. Ich rufe an, denn ich hab' heute mal in meinen Pulli geschaut, und da wollte ich einfach mal hören, wie's Ihnen so geht in Ihrer Fabrik. – Was macht das Wetter? – Oh, Sie sind seit zwölf Stunden nicht mehr draußen gewesen? – Na ja, macht ja nix, ist ja eh gerade Nacht, nicht? Sehr fleißig, nachts zu arbeiten. Das könnte ich nicht... Und ohne Fleiß kein Preis – oder Reis in Ihrem Fall. – Danke auch für den Spruch auf dem Pulli, der war lustig! So lebensfroh: „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter." – Und was machen die Kinder so? – Nähen, ach so, direkt neben Ihnen. Klar, ist ja auch vernünftig, die haben ja viel feinere Hände. Tolle Idee! – Sie husten ja so! Sind Sie etwa krank? – Ich empfehle Hustensaft. – Gibt's nicht? Dann ruhen Sie sich doch mal ein paar Tage aus. – Ach so, dafür wird man gefeuert? Da würde ich mich aber beim Betriebsrat beschweren. – Gibt's nicht? Und was sagt die Regierung dazu? – Gibt's nicht? Gibt's ja nicht! – Gut, aber was ich noch sagen wollte: Sie sind ein bisschen zu teuer. Sie stellen ja auch einen Fair-Trade-Pulli her, aber der sollte fünfzig Euro kosten! Sie nehmen's wirklich von den Lebenden. Ich musste mich dann leider für Unfair-Trade entscheiden. Aber die drei Euro neunundneunzig, die ich dann für den Pulli gezahlt habe, sind ja auch eine Investition in Ihre Wirtschaft! Da brauchen Sie sich auch nicht für zu schämen. Das ist ja meine Aufgabe als Geldgeber. Jeder hat ja mal klein angefangen. Fragen Sie die Kinder neben sich. – Apropos Pulli: Ich muss Ihnen auch leider sagen, die Naht ist schon beim ersten Tragen aufgegangen. So geht's halt leider nicht... Aber da passen Sie ja bestimmt nächstes Mal besser auf. Ich hab' ja hier sozusagen die Funktion des Aufsichtsrats und muss schon wissen, dass für mein Geld auch Qualität produziert wird. – Aber sagen Sie, warum schreien die denn bei Ihnen alle so? – Es brennt, sagen Sie? Na, Sie wollen mich wohl loswerden, Sie Schlingel! – Ach, das ist kein Witz? Na, dann rufen Sie mal lieber schnell die Feuerwehr, was? – Ach so, lassen Sie mich raten: Gibt's nicht? – Sie wollen jetzt Schluss machen? Nee, nee, warten Sie, eins wollte ich doch auf jeden Fall noch hören: Ich spende ja auch jedes Jahr an Weihnachten zehn Euro zu Ihnen nach Bangladesch. Kennen Sie denn den, bei dem das immer ankommt? – Grüßen Sie den nett von mir, er soll mir mal 'ne Postkarte schreiben! Und sagen Sie ihm, er soll sich ruhig mal was gönnen. Aber nicht alles auf einmal ausgeben! Es ist ja manchmal schwierig für Sie, dann plötzlich mit so viel Geld umzugehen. Wenn ich im Lotto gewinnen würde, dann würde ich's vielleicht auch zum Fenster rausschmeißen. – Na ja, schönen Feuerabend... äh, Feierabend! – Wobei: Gibt's ja nicht. Jetzt hab' ich's verstanden! – Gut, verbrennen Sie sich mal nicht die Finger... Und ich freu' mich auf das nächste Geschäft mit Ihnen, morgen muss ich ja schon wieder einen neuen Pulli kaufen. Da können wir ja dann vielleicht noch 'nen kleinen Rabatt aushandeln... – Ja, genau... Auf Wiederhören! – Ach, ist doch schön, wenn man die Weltwirtschaft ankurbelt und dadurch Gutes tut!


Tilman Lucke ist zu sehen in: "frisch gepresst. Politcomedy-Late-Night" und in seinem Soloprogramm "Verdummungsverbot".