07.12.2018

Die fleischgewordene Buchstabensuppe AKK

Sie kam, Saar und siegte – Germany’s next Dornröschen
Folge 36

Keine besonderen Vorkommnisse im Dezember: Angela Merkel wurde beim CDU-Parteitag doch nicht ausgemerzt, darf weiter in Ruhe im Wachkoma liegen und muss sich nicht einmal mehr um die Führung ihrer Partei kümmern. Annegret Kramp-Karrenbauer, aus dem Karneval als „Putzfrau Gretel“ bekannt, ist das neue Dornröschen im Konrad-Adenauer-Schloss. Eine politische Debatte scheint sie bereits verschlafen zu haben: nämlich, dass die Ehe für alle seit über einem Jahr existiert und nicht mehr umkehrbar ist.

  Autor: TILMAN LUCKE

 

Das kommt dabei heraus, wenn die CDU Demokratie ausprobiert: Im Jahr 13 anno Domina geht es trotz Führungswechsel weiter wie bisher. Am deutschen Verwesen soll die Welt genesen! Früher hätte man Schlafbursche zu jemandem gesagt, den sich die Weltmeisterin im Wachkoma als Ersatz holt, um in dem einen ihrer beiden Ämter tagsüber für sie die Raute in den Schoß zu legen. Heute heißt so etwas Hoffnungsträgerin.

Die Namens- und Büroschilder in der Parteizentrale wurden nach dem Parteitag operativ verlängert: Künftig werden doppelt so viele Buchstaben der Partei sagen, wo es nicht langgeht. Jetzt müssen nur noch Thorsten Schäfer-Gümbel, Ursula Engelen-Kefer und natürlich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in die deutsche Politik zurückkehren, und schon ist die Tagesschau von selber voll. Kommt dann auch noch Guttenberg zurück, ist für dessen zehn Vornamen nur noch im anschließenden „Brennpunkt“ Platz.

Zur Ehe für alle sagt die lebende Buchstabensuppe AKK nach wie vor nein, obwohl sie gar nicht mehr zur Debatte steht. Souverän wäre zwar, die Entscheidung des Bundestages von 2017 als gegeben hinzunehmen und sich Zukunftsthemen zuzuwenden. Doch konservativ heißt eben manchmal auch reaktionär, und so träumen manche von der Rücknahme dieses Beschlusses oder doch zumindest davon, homosexuelle Ehepaare irgendwie noch ein bisschen weiterdiskriminieren zu können. Kramp-Karrenbauers Ablehnung ist allerdings nachvollziehbar, denn bei weiteren Heiraten würde ihr Name schließlich immer länger werden, wie in dem Spiel „Ich packe meinen Koffer“.

Auch Anja Karliczek kann als einzige Qualifikation fürs Kabinett ihr Nein zur Ehe für alle ins Feld führen: Merkel dachte sich im März wohl, wenn sie schon den schwulen Spahn ins Kabinett holt, muss die Homophobenquote schließlich auch eingehalten werden. Karliczek interessiert sich nicht nur nicht für Studien, die das Leben von Kindern in homosexuellen Partnerschaften untersuchen, sondern sie leugnet auch noch, dass es solche Studien gibt. Zur Erinnerung: Das Ressort dieses Postfaktotums der Bundesregierung ist das Bildungsministerium! Stattdessen ist sie „als Mutter dreier Kinder“ der Einschätzung, „dass es für die Entwicklung von Kindern wichtig ist, das emotionale Spannungsfeld zwischen Vater und Mutter zu erleben“. Emotionales Spannungsfeld – bei Konservativen ein Synonym für häusliche Gewalt. Und Frau Karliczek schlägt sich wohl ganz gut. Etwas anderes als Prügel würde man von ihr auch nicht wollen. Übrigens ist die Meinung einer dreifachen Mutter natürlich dreimal so viel wert wie die einer einfachen Mutter. Sie kann im Kabinett nur noch von Ursula von der Leyen überstimmt werden.

Dumm nur, dass diese 2017 auf der anderen Seite stand: Gemeinsam mit Altmaier und Spahn war sie die einzige Unionsministerin dafür, die Ehe für alle zu öffnen. Das damalige Abstimmungsverhalten im Bundestag wird für immer im Protokoll stehenbleiben, und man kann nur hoffen, dass die, die dagegen waren, sich irgendwann, wenn die Ehe für alle noch viel normaler sein wird als heute, gehörig für diese Eselei schämen werden.

Vielleicht wird Angela Merkel eines Tages, vielleicht im Jahr 2035, noch einmal gemütlich das Fotoalbum ihrer Amtszeit durchblättern. Schließlich wird sie beim Kapitel des 30. Juni 2017 ankommen. Das Foto wird die Kanzlerin zeigen, wie sie ihre rote Nein-Stimmkarte in die Abstimmungsurne wirft. Ihr erstaunter Blick wird daraufhin fragen: „Wieso hab’ ich denn damals nein gesagt? Was hat mich denn da geritten?“ Dann wird sie müde und spöttisch lächeln, ihr Fotoalbum wieder zuklappen und kopfschüttelnd vom Sofa aufstehen. Versonnen gibt sie ihrer Ehefrau Annegret Kramp-Karrenbauer noch einen Gutenachtkuss.

 

 

 

Tilman Lucke ist zu sehen in: "frisch gepresst. Politcomedy-Late-Night" und in seinem Soloprogramm "Verdummungsverbot".