17.01.2020

No. 86

Aus für die „Spahncard 100" – Verfassungsorgan verhindert Spenden

Dem Bundesminister flogen die Herzen zu ...

Jens Spahn hat einen vernünftigen Gesetzentwurf vorgelegt – ein Vorgang, der im Kalender rot angestrichen gehört. Dem Gesundheitsminister flogen die Herzen zu! Doch in der zweiten Lesung meinten 379 Abgeordnete frei von der Leber: Organspende, nein danke! Da hilft nur nicht einmal eine Organklage in Karlsruhe. Auf Eurotransplant kommt nun eine Sammelbestellung des Bundestages über 379 Spenderhirne zu.

Autor: Tilman Lucke

 

Die Organspende ist vermutlich das einzige, was Deutschland noch schlechter kann als Großprojekte: Manche Patienten stehen schon länger auf der Warteliste als die Fluggäste am BER. Mit dem so klangvoll „Zustimmungslösung" genannten Vorschlag soll das auch so bleiben. Die stand im Bundestag gleichermaßen zur Abstimmung wie Spahns Widerspruchslösung („Spahncard 100"). Danach wäre jeder automatisch Organspender gewesen, aber wenn man widersprochen hätte, bekäme man sein Organ einfach unbürokratisch wieder zurück. Die Werbesongs hatte das Ministerium schon in Auftrag gegeben: „Eine neue Niere ist wie ein neues Leben" sowie „Lunge, komm bald wieder".
Alle Redner, die für die Zustimmungslösung warben, betonten, dass ja alle dasselbe wollten, nur seien sie eben nicht mit der Pflicht zur Entscheidung für jeden Einzelnen einverstanden. Solidarität als freiwillige Einbahnstraße – funktioniert ja schon in der Wirtschaft prima. Das ist, wie wenn ein Ehemann abends aus dem Haus geht und zu seiner Frau sagt: „Danke für dein Herz! Aber wir wollen ja beide das Gleiche: Liebe. Deshalb spende ich meine Geschlechtsorgane jetzt im Puff."
Da hat Annalena einen riesigen Baerbock geschossen: Ausgerechnet die Vorsitzende der Grünen war die Hauptautorin des siegreichen Antrags. Dabei sind die Anhänger der Grünen laut der neuesten Umfrage zu 57 Prozent für die Widerspruchslösung, ähnlich wie die Anhänger von Union, FDP und Linkspartei. Mehrheitlich gegen eine Bürgerpflicht zur Entscheidung votieren lediglich die Anhänger von SPD und AfD. Die SPD hat längst vergessen, dass ihr Fraktionschef Steinmeier 2010 seiner Frau eine Niere spendete. Und die AfD hatte einen eigenen Antrag eingebracht: Erstens: Ab sofort dürfen nur noch Herzen transplantiert werden, die nicht links schlagen. Zweitens: Alle Asylbewerber sind Organspender und müssen ihren Ausweis auf Spaziergängen durch No-Go-Areas sichtbar am Körper tragen. Und drittens: Galle für alle!
Baerbock und Co. argumentierten, dass man die Menschen einfach mehr informieren müsse. Allerdings liegen schon heute an jeder Ecke Organspendeausweise herum, die man einfach nur mitnehmen und ausfüllen müsste. Tun aber nur wenige. Die Zahl der an jeder Ecke herumliegenden Ausweise soll nun drastisch erhöht werden und die Zahl der achtlos weggeworfenen Kassenbons bei weitem überschreiten.
In der Tat führen die Strukturen in Krankenhäusern dazu, dass oftmals spendefähige Organe nicht entnommen werden oder zu viel Zeit zwischen Entnahme und Einpflanzung verstreicht. Viel zu oft heißt es beispielsweise an einer Uniklinik in Süddeutschland: Ich hab' dein Herz in Heidelberg verloren. Denn ausgerechnet beim Thema Organe kann von Organisation keine Rede sein. Die Autoren des erfolgreichen Gesetzentwurfs planen, dass künftig die Bürgerämter über die Möglichkeit zur Spende informieren. Ja, die Schwachen müssen zusammenhalten: Das Bürgeramt hilft dem Transplantationszentrum, die Bahn hilft der Bundeswehr, und der Lahme trägt den Blinden, während der ihn navigiert.
Schon jetzt praktizieren 18 EU-Staaten die Widerspruchslösung, und wenn ab Juli die Niederlande nachziehen, wird Deutschland das einzige Eurotransplant-Mitgliedsland ohne diese Regelung sein. Eurotransplant ist eine Organisation aus acht Ländern, die untereinander Organe zuweisen, und unter diesen Staaten liegt die Spendenquote in Deutschland auf dem letzten Platz. Schon jetzt wandern jedes Jahr netto Organe in Deutschland ein – das kann ja nicht einmal die AfD wollen! Und es wäre auch zutiefst unsolidarisch, wenn wir Deutsche am Ende unseres Lebens auf den österreichischen Lebern weitersaufen. Die sollen ja auch gar nicht so gut sein.
Wie wäre es, wenn diejenigen, die selbst kein Organ spenden würden, im Notfall auch keines bekommen würden? Das wäre nach der Logik der Verweigerer ethisch korrekt, und die Warteliste wäre schlagartig viel kürzer.
Eine gute Nachricht ist der Bundestagsbeschluss für die 901 Menschen, die im Jahr 2018 von der Warteliste für die Organspende heruntergestorben sind: Sie wären auch 2020 und 2021 ganz regulär im Stich gelassen worden.

 

 

 


Tilman Lucke ist zu sehen in: "frisch gepresst. Politcomedy-Late-Night" und in seinen Soloprogrammen  "Verdummungsverbot" und "Lucking zurück".